Buchcover mit Aufschrift: Kohei Saito | Systemsturz - Der Sieg der Natur über den Kapitalismus

Zurück zur Natur, zurück zu Marx

Rezensiert von Stephan Günther

15.10.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 399

Die Erwartungshaltung an dieses Buch könnte größer kaum sein: An ein Werk, das in Japan über eine halbe Million Mal verkauft wurde und an den Autor Kohei Saito selbst, der als Marxist eine öko-kommunistische Alternative zum Kapitalismus formuliert hat. Saitos Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus ist die Fortsetzung seiner sieben Jahre zuvor erschienen Dissertation »Natur gegen Kapital«.

Die hohen Erwartungen erfüllt Saito allerdings nur im zentralen Teil des Buches, während Anfang und Ende deutlich abfallen. Anders formuliert: Immer da, wo Saito wissenschaftlich argumentiert, wo er nah an Marx bleibt, kann er überzeugen. Politische Einordnungen und auch visionäre Vorstellungen davon, wie der Degrowth-Kommunismus, für den er eintritt, umzusetzen ist, bleiben angedeutet oder wiederholen bereits Gesagtes.

»Ist absolute Entkopp­lung überhaupt machbar?«

Nach der Einführung, in der Saito die dramatischen Folgen des Klimawandels skizziert, rechnet er mit der Idee eines Green New Deal ab. Saito hält diesen Weg, der Wirtschaftswachstum und Klimaschutz durch ‚grüne‘ Technologien unter einen Hut bringen soll, für nicht (mehr) gangbar: »Ist absolute Entkopplung überhaupt machbar? Die Antwort auf diese Frage hängt weitestgehend vom Zeitpunkt ab, der für das Erreichen einer dekarbonisierten Gesellschaft festgelegt wird. So wäre es durchaus möglich, in den nächsten hundert Jahren eine Emissionsrate von null zu erreichen. Nichtsdestotrotz wäre das zu spät«. Neben dieser zeitlichen sieht Saito auch eine räumliche Einschränkung, die einem grünen Wachstum im Wege steht: »Da sich der Mittelpunkt des weltweiten Wirtschaftswachstums nach China und Brasilien verlagert hat, wurde die Emissionsrate zwischen 2004 und 2015 im weltweiten Maßstab betrachtet lediglich um 0,2 Prozent verbessert.«

Was jedoch Saito als Totschlag-Argumente gegen den Green New Deal anführt, könnten dessen Fürsprecher*innen durchaus auch gegenteilig verwenden: Ist es nicht ein Fortschritt, wenn trotz des enormen Wirtschaftswachstums in China, Brasilien oder Indien die Emissionsrate weltweit noch gesenkt werden konnte? Wenn die Länder des Globalen Südens folglich auch auf ‚grünes‘ Wachstum umsteuern und wir alle noch mehr Gas geben, werden die Klimaziele dann erreicht werden? Der Autor bleibt hier mit seinen Argumenten eher blass.

Sehr viel klarer argumentiert Saito immer dann, wenn er sich seinem eigentlichen Arbeitsgebiet zuwendet, der Herleitung einer Marx'schen Ökologie. Saito hat für seine 2016 veröffentlichte Dissertation unzählige Notizen, kleinere Abhandlungen und Briefe ausgewertet, die Marx in den letzten 15 Jahren seines Lebens verfasst, aber nicht mehr veröffentlicht hatte. Der späte Marx änderte laut Saito nach zahlreichen naturwissenschaftlichen Studien nicht nur seinen Begriff von Natur und von Entfremdung, er stellte auch den industriellen Produktivismus als Voraussetzung für die Überwindung des Kapitalismus infrage. Damit interpretiert Saito zentrale Marx-Thesen um, sind doch Wirtschaftswachstum und steigende Produktivität in der klassischen Marx-Lesart Voraussetzungen für den Weg in eine klassenlose Gesellschaft.

Saito betont, dass ein nachhaltiges Wachstum innerhalb des Kapitalismus unmöglich ist, da dieser immer auf der Ausplünderung der Natur basiert. Es geht also nicht um die Produktionssteigerung, sondern um die Umsetzung eines sozialistischen und dann nachhaltigen Wirtschaftssystems – des »Ökosozialismus«. Saito bilanziert seine Relektüre des »Kapitals« in fünf zentralen Punkten: Wandel zur Gebrauchswertwirtschaft, Verkürzung der Arbeitszeit, Aufhebung uniformer Arbeitsteilung, Demokratisierung des Produktionsprozesses sowie Fokus auf systemrelevante Arbeit. Das zentrale Standbein einer so entstehenden Degrowth-Gesellschaft wären Gemeinschaftsgüter – weg vom Privatbesitz hin zur Gesellschaft.

Wie das alles umzusetzen ist? Saito bleibt sich bis zum Ende des Buches treu und verweist darauf, dass er keine Anleitung zum »Systemsturz« formulieren werde, sondern dass der Titel als Aufruf zu verstehen sei. Ein Aufruf an »Sie, werte Leserin, werter Leser«, denn von Ihrem Engagement für den Systemsturz hänge nicht weniger als »die Zukunft« ab.

Kohei Saito: Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus. dtv, München 2023. 320 Seiten, 25,70 Euro.

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