3 Bergleute in Schutzkleidung in einem beleuchteten chilenischen Kupferbergwerk
Bergleute in einem chilenischen Kupferbergwerk | Foto: Oliver Llaneza Hesse/Codelco | CC BY-NC-ND 2.0

Die Adern bleiben offen

Europas Energie­wende und der Extrak­tivismus in Latein­amerika

Ein relevanter Teil der für die Energie benötigten Ressourcen wird in Lateinamerika abgebaut. Mit den steigenden Kupfer- und Lithiumpreisen verknüpfen die dortigen Regierungen soziale Entwicklungsversprechen. Die krasse Kehrseite sind die Ermordung von Umweltaktivist*innen und die Zerstörung der Lebensgrundlagen vieler Menschen. Bis zu einem nachhaltigen Rohstoffabbau ist es noch ein langer Weg.

von Rosa Lehmann und Rafael Hernández Westpfahl

08.10.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 393
Teil des Dossiers Rohstoffe

»Europe must start mining again«, fordert jüngst ein Beitrag der Onlinezeitschrift energypost.eu. Anders, so der Beitrag, könne der zukünftige Bedarf an Mineralien für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft nicht gedeckt werden. Die Rohstoffe, die es für den Ausbau der erneuerbaren Energien und für die Elektrifizierung der Mobilität braucht, sind zahlreich: Die Windräder, Photovoltaikanlagen, Batterien für E-Bikes und E-Cars benötigen beispielsweise Kobalt, Kupfer und Lithium, aber auch Silber, Nickel, Platin, Silikon und andere.

Einige dieser Rohstoffe werden als »kritisch« bezeichnet. Dabei handelt es sich um Mineralien, die geologisch selten vorkommen, jedoch zentral für die Energiewende sind. Dazu gehören neben Lithium, Bauxit und Titan, welche erst 2020 auf die Liste der kritischen Rohstoffe der EU gesetzt wurden, zahlreiche leichte, schwere und seltene Erden, allen voran Kobalt. Die exakten Prognosen für den tatsächlichen Bedarf fallen unterschiedlich aus, doch klar ist: Die Nachfrage steigt rasant. So wächst der weltweite Markt für Lithium-Ionen-Batterien laut verschiedener Prognosen bis 2030 um 30 Prozent pro Jahr. Zwar gibt es bei Kupfer keine genauen Angaben dafür, wie der Bedarf im Zuge der Energiewende steigen wird. Klar ist jedoch, dass elektrische Infrastrukturen auf einen hohen Anteil von Kupfer angewiesen sind. Doch zahlreiche Vorhaben zum Abbau von Kupfer etwa in Peru (Seiten D18-19) oder Ecuador sind hochumstritten und schaffen schon jetzt soziale und ökologische Unsicherheiten für betroffene Regionen. Da deutet sich schon an, warum es unwahrscheinlich ist, dass in der Europäischen Union bald jedes mögliche Rohstoffvorhaben auch tatsächlich verwirklicht wird.

Grün und ressourcenhungrig

Auf die Kehrseite dieser Transformation machen Nichtregierungsorganisationen und Bündnisse politischer Aktivist*innen in verschiedenen Teilen der Welt seit vielen Jahren aufmerksam. Denn die Rohstoffe, die für den Bau von Windturbinen oder Lithium-Ionen-Batterien nötig sind, müssen irgendwo abgebaut werden. Dies geschieht meist durch industriellen Bergbau, teilweise aber auch in Handarbeit. Und die Folgen, die Bergbau für die betroffenen Regionen hat, werden ebenfalls schon lange thematisiert. Kupfer und Silber werden beispielsweise in vielen Ländern Lateinamerikas seit Jahrhunderten gefördert. Die Silbermine von Potosí in Bolivien, aber auch die Minen von Zacatecas oder Guanajuato in Mexiko stehen nicht nur für den Reichtum, den die spanischen Eroberer nach Europa brachten und damit die Industrialisierung und die Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse anschoben, sondern auch für den Tod hunderter meist indigener Arbeiter*innen in den Minen.

Drei von vier ermordeten Umwelt­aktivist­*innen kommen aus Latein­amerika

Derlei Prozesse haben Lateinamerika über Jahrhunderte geprägt und werden dort unter dem Begriff Extraktivismus diskutiert. Klassischerweise ist damit die Aneignung großer Mengen natürlicher Ressourcen gemeint, die mehrheitlich exportiert und nicht in den Ländern selbst weiterverarbeitet werden. Die Wertschöpfung findet damit außerhalb der jeweiligen Länder statt, die lokale Wirtschaft profitiert kaum. Anfang des 21. Jahrhunderts begannen zudem in Lateinamerika gerade auch linke Regierungen wie in Venezuela oder Brasilien, die Förderung von Öl und den Bergbau auszudehnen. Das extraktivistische Exportmodell sollte hierbei die nötigen Einnahmen für sozialpolitische Maßnahmen generieren. Wenngleich diese Strategie mittelfristig durchaus aufging und die Situation einkommensschwacher Gruppen verbessert werden konnte, wird dieses als Neo-Extraktivismus bezeichnete Modell indes dafür kritisiert, alte Abhängigkeiten zu verfestigen. Auch wenn nicht alle Länder über einen Kamm geschert werden können, unterließen die Regierungen dieser neo-extraktivistischen Staaten etwa umfassende Steuerreformen, um Bergbauunternehmen stärker zu Kasse zu bitten. Auch gelang es insgesamt nicht, die weiterverarbeitenden Industrien zu stärken. So verblieb man in der Position des Rohstofflieferanten für den Globalen Norden.

Reiche Erde, arme Menschen

Heute sprechen Protestbündnisse in Regionen, in denen industrielle Bergbauprojekte bestehen, von zonas de sacrificio, also Regionen, die dem Bergbau in sozialökologischer Hinsicht geopfert wurden. Neben Wäldern und Feldern, die den Minen zum Opfer fallen, braucht der Bergbau sehr viel Wasser. Dies steht dann der Landwirtschaft und der Grundversorgung der Menschen in der Region nicht mehr zur Verfügung. Zahlreiche Konflikte beispielsweise in Chile drehen sich um den Zugang zu Wasser. In der chilenischen Gesetzgebung, die auf der Verfassung aus der Zeit der Diktatur Pinochets basiert, gehört Grundwasser nicht automatisch denen, die ‚über‘ ihm wohnen. Schadstoffe und Schwermetalle, die bei der Extraktion etwa von Kupfer, Gold oder Silber freigesetzt werden, belasten zudem das Ökosystem und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen in den agrarisch geprägten Regionen Lateinamerikas. Nicht selten kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Anwohner*innen und der Polizei sowie privaten Sicherheitsfirmen; aber auch zwischen Anwohner*innen selbst.

Die Verknüpfung von Gewalt mit der extraktiven Industrie wird anhand der vielen Fälle von ermordeten Unweltaktivist*innen und Journalist*innen, die über diese Zusammenhänge berichten, sehr deutlich. Die internationale NGO Global Witness stellte in ihrem Bericht für das vergangene Jahr fest, dass drei von vier der weltweit ermordeten Umwelt- und Landverteidiger*innen in Lateinamerika gelebt hatten. Besonders häufig war das in Kolumbien (65), Mexiko (30), Brasilien (20), Honduras (17), Guatemala (13) und El Salvador (12) der Fall. Dabei ist Mord nur die grausamste Ausprägung unter den weit verbreiteten nicht gerade subtilen Methoden der Einschüchterung gegenüber Aktivist*innen der Zivilgesellschaft.

Zahlreiche Studien aus Lateinamerika haben gezeigt: Wenn Informationen über geplante Extraktionsprojekte bekannt oder gar Konzessionen vergeben werden, ändern sich die Zukunftsvisionen etlicher Anwohner*innen radikal. Alles wird dann im großen Maßstab imaginiert. So schreiben etwa der Geograf Anthony Bebbington und Wissenschaftskolleg*innen in Bezug auf Bergbauvorhaben: »lots of jobs, lots of pollution, big roads«; einerseits Arbeitsplätze, die im industriellen Bergbau entstehen und Teilhabe an der Wertschöpfung aus dem Bergbau versprechen; andererseits die Zerstörung oder Enteignung von Land, von Formen des Zusammenlebens in den meist indigen-agrarisch geprägten Gemeinden sowie die Zunahme von Gewalt und Prostitution in den Bergbaugebieten.

Erst graben, dann fragen

Gleichzeitig haben lateinamerikanische Regierungen den Bergbau massiv gefördert, vor allem, aber nicht erst, im Zuge des Rohstoffbooms der 2000er-Jahre. So ermöglichten Gesetzesänderungen in Mexiko vor allem seit den späten 1980er-Jahren, dass für nahezu zehn Prozent des nationalen Territoriums gültige Konzessionen vergeben wurden – und das obwohl der Bergbau lediglich zu maximal 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beiträgt. Gleichwohl hat die mexikanische Regierung, wie viele andere lateinamerikanische Staaten auch, Vorschriften zur wirtschaftlichen Beteiligung von Gemeinden in den Abbauregionen erlassen und versucht beispielsweise durch das Mittel der Befragung in indigenen Gemeinden einen Konsens über Bergbau herzustellen.

Diese Befragungen, die vor allem in Anlehnung an die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über das Recht indigener Völker stattfinden müssen, sind allerdings äußerst umstritten (iz3w 374). Wenn die Befragungen überhaupt durchgeführt werden (können), so ist der grobe Rahmen bereits durch die Konzessionsvergabe und das geplante Vorhaben abgesteckt. Nicht selten ist das durchführende Unternehmen bereits vor Ort und mit lokalen Autoritäten und Gewaltakteuren verbunden. Ein »Nein« ist oft nicht möglich. Wenn überhaupt, können Entschädigungszahlungen ausgehandelt werden. Auch deshalb lehnen manche Gemeinden in verschiedenen Regionen Lateinamerikas diese Befragungen ab. Andere Studien zeigen wiederum, dass durch das Format der Bürger*innenbefragung eine Möglichkeit der Diskussion über die Zukunft der Region stattfinden kann.

Digitales Schnupperabo

Drei Monate schnuppern, lesen, schmökern.

Schnupper-Abo

Mit dem digitalen Schnupper-Abonnement für 10 Euro hast du drei Monate Zugang zu allen Inhalten unseres Online-Magazins und allen Podcasts. Das Abo verlängert sich nicht automatisch.

Um das Schnupperabo abschließen zu können, musst du dir einen Account hier bei iz3w.org anlegen. Einfach unter Login registrieren!

Hier stehen lokale Proteste oft im Wiederspruch zu den auch von linken Regierungen verabschiedeten Rohstoffprojekten. So etwa in der extrem trockenen Region der Salzseen im Norden Chiles und Argentiniens, die zusammen mit dem Süden Boliviens zum sogenannten Lithiumdreieck gehören. Seit Jahren gibt es dort Auseinandersetzungen um den Bedarf an Wasser, welches nötig ist, um aus dem salzhaltigen Grundwasser, Sole genannt, Lithiumcarbonat zu gewinnen. Lithiumgewinnung führt in den entsprechenden Regionen Südamerikas zur Absenkung des Grundwasserspiegels, was die Bevölkerung, die oft von Viehzucht lebt, direkt negativ betrifft. In Argentinien und Chile protestierten Anwohner*innen aufgrund des Wasserbedarf für die Lithiumgewinnung bisher mit geringem Erfolg gegen diese Vorhaben. Dagegen brachte in Bolivien auch die Sorge von Anwohner*innen und der damaligen Regierung Morales um möglicherweise zu geringe Gewinne vor Ort eine Kooperation mit einem deutschen Unternehmen ACISA zu Fall. Denn Bolivien möchte selber Produktionsschritte im Land aufbauen. Mittlerweile führt die Regierung jedoch wieder Verhandlungen, diesmal mit Firmen aus den USA, Russland und China.

Der Staat mischt mit

Und in Mexiko, in dessen nördlichem Bundesstaat Sonora nunmehr Lithiumvorkommen in Tonerdeschichten entdeckt wurden, ist eine heftige Debatte entbrannt, welche Rolle der Staat bei der Abschöpfung der Rohstoffrente und Regulierung des Sektors spielen soll. So will Präsident López Obrador zwar bestehende Verträge mit einem chinesischen Konsortium nicht kündigen, brachte aber einen Vorschlag durchs Parlament, der dem Staat durch die Gründung des staatlichen Unternehmens Litiomex den Zugriff auf den Sektor ermöglicht. Ob ein staatliches Unternehmen offener für die bereits formulierten Kritiken von Bewohner*innen des Bundesstaates und auch von Wissenschaftler*innen ist, wird sich zeigen. Der bisherige Umgang López Obradors mit Protesten gegen Infrastrukturprojekte lassen das Gegenteil vermuten. Das Beispiel Bolivien und Mexiko zeigt jedoch, dass je nach Kräfteverhältnissen und staatlicher Gesetzeslage nicht nur internationale Bergbaukonzerne wie Glencore (Schweiz), BHP (Australien) oder MMG (China) Akteure der alten und neuen Rohstoffwelt sind, sondern auch der periphere Staat bestimmt, wie Rohstoffe für Saubere Technologien (Cleantech) abgebaut werden.

Die Debatten um die sozialökologischen Problemlagen rund um den Rohstoffabbau sind auch in Deutschland angekommen. Was heißt das für die Idee vom Bergbau in Europa? Dort finden sich, etwa in Serbien oder Spanien, ähnliche Konfliktlagen. Mit viel Geld fördert die EU in Serbien den Abbau von Lithium (des britisch-australischen Bergbaukonzerns Rio Tinto) und Kupfer und Gold (des chinesischen Bergbauunternehmens Zijin Mining). In Spaniens Extremadura sind Vorhaben zur Lithiumgewinnung geplant. Ebenso gibt es Ideen zur Lithiumgewinnung etwa für den süddeutschen Oberrheingraben oder für das Erzgebirge. Momentan wird in keinem der Vorhaben aktiv Lithium gefördert. Ohnehin würden, davon gegen Studien aus, alle Vorhaben in Europa maximal ein Viertel des prognostizierten Bedarfs der Region an Lithium abdecken können.

In Chile wurde schon mehrmals gegen die Gefahren durch den Kontakt mit Arsen protestiert

Umwelt-NGOs, Investor*innen, Bergbauunternehmen und Forschende diskutieren deshalb die Frage, ob nachhaltiger Bergbau möglich wäre – auch verbunden mit der Hoffnung, dass Proteste dadurch reduziert werden können. Es wird auf die Technologieentwicklung gesetzt, etwa, so ein Forschungsprojekt des Frauenhofer Instituts, um den hohen Arsengehalt im chilenischen Kupfer zu vermindern. Die Motivation hierfür ist entweder die Reinheit des Kupfers oder die Reduzierung der Gesundheitsrisiken für Bergleute, die in Chile schon mehrmals gegen die Gefahren durch den Kontakt mit Arsen protestierten. Ebenso sind Messungen zum Wasserbedarf zur Lithiumgewinnung in den Salaren Südamerikas Gegenstand heftiger Debatten. Die Hoffnung, durch eine Verbesserung von Verfahren weniger Wasser zu benötigen, ist groß.

Extraktive Utopien

Der uruguayische Wissenschaftler Eduardo Gudynas bezeichnet solche Bemühungen als nachhaltigen Extraktivismus. Also ein auf der etwas umweltfreundlicheren Ausbeutung von Rohstoffen basierendes Wirtschaftssystem, in dem – etwa über Programme im Rahmen der sozialen Unternehmensverantwortung – lokale Gemeinden etwas vom Kuchen abbekommen sollen. Wie jedoch genau ein nachhaltiger Bergbau ausgestaltet werden soll und ob eine frühe Einbindung von Anwohner*innen in Rohstoffprojekten nicht an ihre Grenzen kommt, wenn nicht nur Krümel eingefordert werden, ist offen. Der nachhaltige Extraktivismus wäre jedoch für Gudynas nur die Vorstufe eines »unbedingt nötigen Extraktivismus«. Dieser beinhaltet eine deutliche Reduzierung der Menge an global umgeschlagenen Rohstoffen und damit auch des Bergbaus.

Ein solcher Bergbau jedoch ist mit den Hoffnungen auf eine neue Runde kapitalistischer Akkumulation im Kontext einer Green Economy, wie sie auch im Rahmen des EU Green Deal formuliert werden, unvereinbar. Gleichzeitig bedürfte es der Debatte, was ,unbedingt nötig’ ist. Wer legt den unverzichtbaren Bergbau fest? An welchen Maßstäben für den Bedarf an Cleantech misst sich das? Nähme man das Carbon Budget zum Ausgangspunkt, das jedem Menschen zusteht um das 1,5 Grad-Ziel der Klimaänderung noch zu erreichen, wäre klar, dass die europäische Mittel- und Oberschicht eben nicht mehr mit E-Auto oder E-Bike nachhaltig herumcruisen kann. Derartige Debatten werden häufig als Postwachstumsideen auch mit dem Verweis auf den Wegfall von Arbeitsplätzen im industriellen Bergbau abgetan. Ein unbedingt nötiger Extraktivismus impliziert aber auch Rohstoffgerechtigkeit, und damit eine Umverteilung von Konsum und Teilhabe. So dass eines Tages statt individualisierter E-Autos in Westdeutschland eher E-Busse auf befestigten Straßen in entlegenen Gebieten Perus fahren können.

Rafael Hernández Westpfahl ist Doktorand am Heidelberg Center for Ibero-American Studies (HCIAS) und interessiert sich in seiner Dissertation für soziale Dynamiken im Zuge des Abbaus von Rohstoffen in Mexiko, die für die weltweite Dekarbonisierung relevant sind. Rosa Lehmann lehrt und forscht am HCIAS zu sozialökologischen Ungleichheiten und Konflikten mit Fokus auf Energiewende und Bioökonomie.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 393 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen