Herrschaft durch Unordnung
Autoritäre Entstaatlichung in Russland
In Russland hält Präsident Putin die Position des starken Mannes im schwachen Staat inne. Seine Macht beruht auf dem Ausgleich rivalisierender Interessen und Fraktionen. Die politische Einheit findet ein solches System nur in der Aggression nach innen und außen.
»Autoritarismus« ist ein so breit gefasster Sammelbegriff, dass es ganz auf das hinzugefügte Prädikat ankommt, um ahnen zu können, wovon genauer die Rede ist. Als »nihilistischen Autoritarismus« hat die Wissenschaftlerin Anna Schor-Tschudnowskaja das russische System bezeichnet. Die maßgebliche Lehre, die »Putin und seine Kumpane« aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion mitgenommen hätten, bestehe darin, dass autoritäre Herrschaft ohne politische Vision leichter aufrechtzuerhalten sei. »Nicht mit Hoffnung und Utopie, sondern mit Enttäuschung und Nostalgie lässt sich die Macht zementieren«, schrieb sie im April 2022 in der Neuen Zürcher Zeitung: »Es ist dies eine neue Art von nihilistischem Autoritarismus, der mit Sinnlosigkeit und Absurdität wuchert und nicht mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft.«
Es gebe in Russland weder eine politische Vision, noch eine führende Partei oder breite politische Bewegung, welche die Macht innehabe, stellte Schor-Tschudnowskaja fest. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich hat man den Eindruck, dass der russische Staatspräsident recht uneingeschränkt über die Macht zu maßgeblichen Entscheidungen wie etwa über Krieg und Frieden verfügt. Dennoch präsentiert die Forscherin den nihilistischen Autoritarismus quasi als organisierten Zerfall.
Auf den Trümmern des Sowjetstaats …
Dabei war Putin einst angetreten, um genau diesen zu verhindern. »Wenn Demokratie Staatszerfall bedeutet«, sagte er 2003 der Washington Post mit Blick auf di