Gegen Rechtsruck: Nach Solingen noch immer relevant. Demoschild zeigt: "Inhumane Asylpolitik ist keine Brandmauer gegen rechts."
Was hat sich seit den Correctiv-Recherchen und Demos gegen Rechts Anfang des Jahres verändert? | Foto: Martin Heinlein CC BY 2.0

Räuber­leiter für die AfD

Die Migrations­politik der Ampel ist am Tief­punkt angekommen

Nach dem islamistischen Attentat in Solingen schreien alle: Migration bekämpfen. Warum das nur der AfD hilft, nicht aber der Sicherheit.

von Anni Eble

16.10.2024

Wie stark kann man den Rechtsruck beschleunigen? Die Ampel tut gerade alles dafür. Die letzten Monate deutscher Migrationsdebatte lesen sich wie aus dem Handbuch für rechte Politik. Sieben Wochen nach dem islamistischen Attentat von Solingen ist die deutsche Öffentlichkeit von Feindseligkeit gegen Geflüchtete und Migrant*innen geprägt.

Die Bundes­regierung begünstigt rassist­ische Hetze

Am 23. August hat ein Mann auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Die Terrororganisation Islamischer Staat reklamierte anschließend die schreckliche Tat für sich. Die folgende Ankündigung Nancy Faesers, der Staat werde »mit aller notwendigen Härte« auf das Attentat antworten, war nicht untertrieben. Neben Maßnahmen, die vielleicht noch einen Bezug zur Gewaltprävention hergeben, wie die Einschränkungen des Waffenrechts, umfasste das Maßnahmenpaket auch die Streichung der Leistungen für Geflüchtete im Dublin-Verfahren, schnellere Abschiebungen sowie Grenzkontrollen zur Einschränkung der »irregulären Migration«. Über das relevante Thema des Islamismus lernte man in der Debatte nach Solingen: nichts. Die Losung der Bundesregierung: Migration bekämpfen und Geflüchtete drangsalieren im vermeintlichen Kampf gegen den Islamismus.

Die Ampel wollte vor dem Hintergrund des Attentats Handlungsfähigkeit demonstrieren. Wie zur Krönung der »Mit-aller-Härte«-Politik landet fünf Tage nach Solingen ein Abschiebeflug in Afghanistan. Den hatte das Innenministerium zwar schon zwei Monate vorher geplant, aber er passte gut rein. Ironischerweise waren keine islamistischen Gefährder unter den Abgeschobenen. Eine Kooperation mit der Taliban streitet Faeser vehement ab, Katar habe die Vermittlungen übernommen. Die Taliban behauptet aber, hohe Geldsummen für den Deal erhalten zu haben. In jedem Fall ist dieser Deal ein Tabubruch, denn ausgerechnet das illegitime islamistische Terrorregime der Taliban wird mit dieser Kooperation aufgewertet. Das zeigt, wie wenig es hier um den hochgefährlichen Islamismus geht.

Es zeigt außerdem: Mit dem angeknacksten Sicherheitsgefühl der Deutschen ist nicht zu spaßen. Die gefühlte Sicherheit in Zeiten des Rechtsrucks braucht einen Sündenbock und der findet sich einmal wieder in der Migration. Fast alle zusammen, also die Ampel, CDU, BSW und AfD haben kräftig dazu beigetragen, um nach einem islamistischen Attentat im Handumdrehen bei Forderungen nach Einschränkung »irregulärer Migration« zu landen. Ein Großteil der Gesellschaft geht dieser absurden Logik problemlos auf den Leim, wurde sie doch über Jahre sorgsam eingeübt und bei jeder Möglichkeit nachgeschärft.

Die restriktive Migrations­politik gilt als vereinbar mit dem schicken Selbst­verständnis von »Demokratie & Vielfalt«

Der Islamismus ist ein Problem für sich, das mitunter in Deutschland selbst entsteht und sich nicht stellvertretend durch migrationsfeindliche Politik lösen lässt. Das realere Bindeglied zwischen beidem ist der blanke (antimuslimische) Rassismus, der Migrant*innen unter Generalverdacht stellt. Sogar wenn sie in vielen Fällen selbst vor islamistischem Terror geflüchtet sind. Auch in vielen Medien wird diese Gedankenkette unhinterfragt reproduziert. Dabei stünde es zumindest der ‚Vierten Gewalt‘ gut an, beim Kurzschluss vom Attentat zur Migration die Sinnfrage zu stellen.

Die restriktive Migrationspolitik gilt in den Kreisen der Ampel als vereinbar mit dem schicken Selbstverständnis von »Demokratie & Vielfalt«. Die Demokratie schützen und gleichzeitig Grundrechte für Menschen ohne deutschen Pass abbauen? Diese Dissonanz ist auf dem Weg nach rechts nicht neu. Sie zeigte sich auch acht Tage nach dem Bekanntwerden der »Remigrationspläne« von Potsdam, als der Bundestag das Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedete. Schritt für Schritt werden so rechte Forderungen in Gesetze gegossen. Die Rechten sehen sich zu Recht auf einem guten Weg.

Die »nationale Notlage« - ein neurechtes Narrativ

Seit Jahren kämpfen Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen gegen diese bodenlose Migrationspolitik an: »Man bekämpft Rechts nicht, indem man rechte Politik macht!« Denn zum einen macht man sie dadurch salonfähig. Zum anderen löst man kein Problem. Und Islamismus wird ein Problem bleiben. Welche Grundrechtseinschränkungen bringt das nächste Attentat? Wo zieht die Ampel die rote Linie? Gibt es sie? Immer weniger zumindest bei CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Der bedient sich nach Solingen eines neurechten Narrativs und ruft die »nationale Notlage« aus. Nur durch Abweisungen an den deutschen EU-Binnengrenzen und einem Kurswechsel in der Migrationspolitik ließen sich die Probleme bewältigen. Das korreliert mit der rechtsextremen Phantasie des »Ausnahmezustands«, in dem bestehendes Recht außer Kraft gesetzt werden ‚muss‘. Und selbst innerparteilicher Protest bei den Grünen, etwa der Austritt des Jugendvorstands, scheint fast schon eine erfreuliche Abspaltung für mehr innerparteiliche Einheit zu sein.

Mit den Grenzkontrollen und dem Abschiebeflug nach Afghanistan sendet die Bundesregierung fatale Signale: Nach innen stabilisiert sie das Narrativ von Migration als Gefahr und begünstigt die rassistische Hetze, die nicht auf sich warten lässt. Den europäischen Nachbarstaaten suggeriert sie, dass Egotrips und Nationalismus in Sachen Migrationspolitik doch irgendwie okay sind. Kein Wunder, dass Europas Rechtsextreme wie Viktor Orbán und Martin Sellner die Maßnahmen begrüßen. Den Islamist*innen vermittelt sie, dass sie mit Terrorismus Spaltung und Demokratieabbau erreichen. Für die internationale Politik heißt die Botschaft: Wir Deutschen kooperieren mit islamistischen Regimen, wenn es unseren Interessen dient.

So stellt die Ampel den Autoritären und Rechten eine Räuberleiter auf dem Weg zur Macht. AfD & Co. haben es geschafft, dass alle »Migration ist das Problem« sagen. Deutschland baut Schritt für Schritt Menschenrechte ab. Das wird sich an uns allen rächen. Dass der ‚bürgerlichen Mitte’ und ihren Parteien das nicht klar ist, will man kaum noch glauben.

Anni Eble ist Mitarbeiter*in im iz3w.

Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen