Hitzige Klimadebatten: Was bringt’s?

Kernthemen der Weltklimakonferenz COP 28 und Hebel gegen die Klimakrise

Audiobeitrag von Martina Backes

07.11.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

Ende November startet die 28. Weltklimakonferenz. Was steht im Fokus der Verhandlungen in Dubai? Und wie sind die Kernthemen, die dieses Jahr ganz oben auf der Agenda stehen im Hinblick auf Gerechtigkeit zu bewerten?

Wird die notwendige Abkehr von fossilen Energieträgern wieder einmal scheitern? Was würde das bedeuten? Was sind die wunden Punkte bei der Debatte um finanzielle Unterstützung ärmerer Länder bei der Anpassung an die Klimakrise? Wird mit dem vor allem vom Globalen Süden eingeforderten Fonds für Schäden und Verluste tatsächlich mehr Gerechtigkeit in der internationalen Klimapolitik Einzug halten? Der südnordfunk geht diesen Fragen in einem Kolleginnengespräch nach.


Erstausstrahlung am 7. November 2023 im südnordfunk #114 bei Radio Deyeckland

Skript zum Audiobeitrag

Noch genau dreieinhalb Wochen bis zur Eröffnung der COP 28, dem Weltklimagipfel in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Was sind die Kernthemen?

Martina Backes: Dort geht es zum ersten Mal seit der Pariser Klimakonferenz um eine globale Bestandsaufnahme, auch Global Stocktake genannt. Das heißt: Die Vereinbarungen der letzten Jahre über Emissionsreduktionen werden von der Weltgemeinschaft klimapolitisch bewertet. Die Daten dienen der Kontrolle der nationalen Klimapläne. Konkrete Angaben über das, was die einzelnen Länder geleistet bzw. versprochen haben lassen so erkennen, ob die von allen erbrachten Anstrengungen ausreichen werden, um die Ziele des Pariser Abkommens einhalten zu können. Es geht also um den kollektiven Fortschritt der Staatengemeinschaft. Hier kann man vorwegnehmen, dass derzeit die Erwärmung eher auf drei Grad steigen wird, statt sie auf 1,5 Grad zu begrenzen. Daraufhin werden die Klimaziele und die Frage, wie diese Ziele erreicht werden sollen, neu diskutiert.

Darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen, geht es ja jetzt schon seit nunmehr 27 Jahren auf 27 Weltklimatreffen...

Zumindest seit 2015, als das Pariser Klimaabkommen geschlossen wurde, also vor acht Jahren, und das ist wenig ermutigend. Es soll dieses Mal möglicherweise erneut ein verbindliches Ausstiegsdatum aus den fossilen Energien verhandelt werden – ein weiteres Kernthema. Oder auch feste Ausbauziele für Erneuerbare. Große Hoffnung auf einen schnellen Ausstieg aus fossilen Energieträgern braucht man sich aber leider derzeit nicht zu machen.

Wäre ein Emissionsziel – also bis wann genau wie viele Emissionen eingespart werden – ein Erfolg?

Länder mit starken fossilen Interessen wollen eher ein Emissionsziel, statt ein Datum zum Ausstieg aus den fossilen Trägern festlegen, sie lassen sich dabei eine Hintertüre offen: nämlich die CCS Technologie, mit der sie hoffen, ausgestoßene Klimagase wieder einfangen zu können. CCS steht für Carbon Capture and Storage (CCS), das Abscheiden und Speichern von CO2 aus der Atmosphäre. Eine teure Zukunftstechnologie, die wir uns eigentlich nicht leisten können. Es macht keinen Sinn, den Dreck erst zu verteilen, wenn man weiß, der muss weg. Denn die klimabedingte humanitäre Not nimmt weltweit zu, schon jetzt.

Inzwischen leben 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen in einem Umfeld, das durch die veränderten Klimamuster gefährdet ist, die einen mehr, die anderen weniger. 2050 ist momentan das Jahr, in dem eine Netto-Null Emission weltweit angestrebt wird, also eine kohlenstoffneutrale Lebens- und Wirtschaftsweise, die das Risiko des Überschreitens der 1,5 Grad Erderwärmung abwenden soll. Selbst bei der aktuellen Erderwärmung von 1,2 Grad Celsius trifft das zu, und jedes Zehntel Grad weitere Erwärmung verschlimmert diese Misere. Zudem: Die Erwärmung ist mit Netto-Null nicht einfach umkehrbar, dafür braucht es negative Emissionen und sehr lange Zeiträume. Die anvisierte 1,5 Grad Marke ist also keine Garantie, dass dann alles gut ist. Gar nicht! Es ist der Kipppunkt, von dem man sich erhofft, die Krisen irgendwie managen zu können, mehr nicht. Nur: Aktuell bewegen wir uns auf die drei, vier Grad zu.

Der wichtigste Hebel wäre zweifels­ohne der sofortige Ausstieg aus den Fossilen.

Warum nicht das 1,5 Grad Ziel möglicherweise nicht ausreicht, darauf kommen wir später noch zu sprechen. Was ist noch Kernthema?

Ein weiterer Schlüsselbereich, der insbesondere den Akteur*innen aus dem Globalen Süden am Herzen liegt, ist die Frage, wie der Klimafonds für Schäden & Verluste ausgestaltet werden soll: Schlagwort: Loss and Damage. Einen solchen Fonds einzurichten wurde ja auf dem letzten Weltklimagipfel in Sharm el-Sheikh beschlossen und vor einem Jahr als größter Erfolg der Klimakonferenz 2022 in Ägypten gefeiert. Jetzt müssen Regeln für den Fonds vereinbart werden. Zudem geht es auf der COP 28 um die Frage, wie Klimaanpassung finanziert werden kann und welche Strategien priorisiert werden.

Also drei große Themen: Anpassung, Schäden und Verluste sowie Emissionsziele. Sind das denn deiner Einschätzung nach die wichtigsten Hebel für eine wirksame Klimapolitik?

Der wichtigste Hebel wäre zweifelsohne der sofortige Ausstieg aus den Fossilen. Aber das ist sehr unwahrscheinlich, obwohl dieser Ausstieg von Klimaaktivist*innen stark gefordert und von den Klimawissenschaften in gewisser Weise ja nahegelegt wird.

Im Klima*Aktivismus wird stark auf den Bereich Verluste und Schäden gesetzt. Warum: weil er als eine Form ausgleichender Gerechtigkeit für diejenigen bewertet wird, die jetzt schon Land, Haus, Ernte und Zukunft verlieren. Sicher, die Bereitschaft dazu muss es geben. Zentral ist aber weniger die Existenz eines solchen Fonds als vielmehr die Frage, wie der Fonds den Bedürfnissen und Prioritäten gefährdeter und marginalisierter Gemeinschaften, die mit Verlusten und Schäden konfrontiert sind, am besten gerecht werden kann. Es braucht einen unbürokratischen Zugang und Zuschüsse gerade auch für kleinere Projekte und für lokale Gemeinden, es braucht gendersensible Antworten. Es braucht kurze Entscheidungswege, die schnelle Hilfe ermöglicht. Hier sieht es leider nicht gut aus.

Der Klimafonds für Schäden und Verluste ist kein wirksamer Hebel, wenn es um die konkrete Rettung des Klimas geht, aber dennoch ist er aus zwei Gründen enorm wichtig: Einerseits muss es möglichst schnell möglichst viel Geld für diejenigen geben, die schon jetzt massiv von Extremwettern wie Dürren, Überschwemmungen, Bränden, Hitzewellen usw. betroffen sind – oder auch von den schleichenden Folgen der Erderwärmung wie erodierenden Küsten, versalzenden Brunnen und Böden. Und andererseits wäre ein Scheitern der Frage, wer das Geld des Klimafonds verwaltet, wer dort Zugang hat und was genau finanziert werden kann ein Bremsklotz für viele andere Bereiche.

An dem Fonds für Schäden und Verluste kulminiert sozusagen die Gerechtigkeitsfrage: Wer ist für den Klimawandel am meisten verantwortlich und zahlt in diese Fonds ein, und wie kann denen geholfen werden, denen sozusagen schon jetzt das Wasser bis zum Halse steht, obwohl sie zum Klimawandel kaum beigetragen haben und die Folgen nicht abwenden können.

Das hört sich schlüssig an. Es geht also gewissermaßen auch um die Anerkennung von Schuld bzw. um Reparation?

Es geht definitiv um Verantwortung. Stehen die Industriestaaten dazu, ihre schwere Verantwortung für das Klimadesaster zu übernehmen, ohne direkten Eigennutz daran zu koppeln? Das sieht derzeit leider nicht gut aus. Es gab ja drei Treffen seit der letzten COP, um die Konditionen für die Ausgestaltung vorzuformulieren. Bisher ist da, soweit ich das erkenne, kein Konsens in Sicht. Dazu zwei Punkte:

Die Industriestaaten wie die EU und die USA wollen, dass der Fonds unter dem Dach der Weltbank angesiedelt wird. Das Argument: Er sei dann schneller einsatzbereit. Dahinter steht aber auch, dass die Regeln bei der Weltbank von den Industrieländern dominiert werden und die ärmeren Länder dort weniger zu sagen haben. Wer bekommt für was welchen Zuschlag und wer entscheidet darüber? Darum geht es im Kern, daran wird sich Gerechtigkeit messen lassen, nicht daran, wer wieviel Knete in den Fonds gibt. Die anvisierte Summe von 100 Milliarden ist ohnehin lächerlich gering, wenn man bedenkt, dass die humanitären Akteure mit Katastrophen eines enormen Ausmaßes rechnen. Wenn das Klima verheizt wird wie bisher, entstehen Kosten, die schwer monetarisierbar sind. Die künftigen materiellen Kosten von Extremwettern und Klimakatastrophen für Entwicklungsländer werden im Jahr 2030 bereits auf 428 Milliarden US Dollar geschätzt und sie steigen jährlich weiter an. Die Barcleys Bank schätzt, dass sie 2050 und auf 1,67 Billionen US-Dollar steigen werden, wenn die globalen Temperaturen um drei Grad steigen (aktuell steuert der Kurs auf vier Grad zu). Allein die durch extreme Wetterereignisse verursachten wirtschaftlichen Verluste sind zwischen 1970 und 2019 um das Fünffache gestiegen.

Ein weiterer wunder Punkt bei Loss and Damage: Einige NGOs, vor allem aus ärmeren Ländern, befürchten, dass die reichen Staaten weiterhin Versicherungen als Schlüssellösung propagieren. So hat die deutsche Vertretung beim TC3 – also dem letzten Übergangstreffen – erneut das Global Shield eingebracht, ein Programm, das im Kern vor allem auf Risikoversicherungen bzw. Klimaversicherungen setzt. Das ist keine gute Entwicklung, und Klimaversicherungen sind sehr umstritten, denn die Klimakatastrophen nehmen ständig zu. Wer jeden Monat seine Scheiben einschlägt oder einen Autounfall hat, wird hohe Prämien für sein hohes Risiko zahlen müssen – oder seinen Schutz ganz verlieren.

Ein Klimabeauftragter aus Barbados sagte jüngst auf dem Finanzgipfel in Paris: »Jemand hat die globale Erwärmung verursacht und will, dass wir uns selbst versichern«. Also: es ist sehr umstritten, ob das von der Bundesregierung initiierte Global Shield unter den Loss & Damage Mechanismus fallen soll oder nicht.

Noch ein letzter Punkt in Kürze: Es gibt ja den Fonds für Klimaanpassung und Klimaschutz. Oxfam fand nun heraus, dass viele Projekte, die in der Vergangenheit mit dem dort eingezahlten Geld finanziert wurden, wenig mit Klimaschutz oder Klimaanpassung zu tun haben. Auch eine Studie von Reuters zeigt, dass ein erheblicher Teil des Geldes zur Klimafinanzierung ganz anderen Zwecken zugutekam. Zudem wurde ein Großteil des Geldes als Kredit vergeben, nicht als zinsfreier Zuschuss.

Im Sinne der Klimagerechtigkeit ist es angebracht, dass die wohlhabenden Länder mit den höchsten historischen wie aktuellen Emissionen zum einen klimafreundliche Technologien in armen Ländern finanzieren, zum anderen auch die Anpassung an die Klimaveränderung. Laut UN sind im Jahr 2020 rund 83 Milliarden Dollar bereitgestellt worden, allerdings über Dreiviertel davon als Darlehen, nicht als Zuschuss. Mit anderen Worten, die Darlehensnehmer haben sich verpflichtet, zumindest einen Teil der Summe zurückzuzahlen. Wäre die Entscheidung darüber, für was das Geld aus dem Klimafonds verwendet wird, partizipativ gefallen, dann wäre das sicher anders gelaufen. Aus diesen Fehlern sollte jetzt, beim Aufstellen der Regeln für Loss & Damage, gelernt werden.

Es braucht also dringend Geld für Kommunen, Länder, Gemeinden, vor allem in den besonders verwundbaren Ländern?

Genau. Hierfür macht sich eine Gruppe von 68 Ländern stark, die sich V20 nennen. Die Mitgliedstaaten der V20 haben mehrheitlich oftmals keine eigenen Kapazitäten, weder für Nothilfe, wenn sich eine humanitäre Katastrophe ereignet, noch für Vorsorge und Klimaanpassung, also, um Menschen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Etwa, wenn der nächste Hurrikan auf die Küste zusteuert – oder für eine andere Bauweise in urbanen Gebieten, damit die Häuser nicht beim nächsten Sturm oder Hochwasser weggerissen werden. Das sind ja meistens die prekären Wohnsiedlungen von Menschen, die in Armut leben müssen. In Libyen gab es dieses Jahr weit über 11.000 Tote, nachdem zwei Flussdämme brachen.

Es geht also um Länder und Gemeinden, die kein Geld für direkte Überlebenshilfe nach einer Flut oder Dürre haben, die Schuldendienste abstottern müssen, statt ihre Leute zu versorgen. Ich spreche hier von Ländern, die oft keinerlei soziale Sicherungssysteme finanzieren können und ihre Infrastruktur, etwas alte Dammbauten und Brücken, nicht Instand halten können, weil sie bankrott, verschuldet oder extrem verarmt sind. Zudem sind die Menschen ja nach der zweiten oder dritten Dürre oder Katastrophe komplett ausgezehrt, die haben keinerlei Reserven, um die in der Entwicklungszusammenarbeit so oft beschworene Resilienz gegen Klimawandel aufzubauen.

Aktuell beobachten wir eine kaskadenartige Eskalation von Verwundbarkeit und Verletzungsmacht: Die Strategien vieler Menschen, Krisen zu bewältigen, sind zunehmend erschöpft – und die Nothilfebudgets reichen nie aus. Ständig muss entschieden werden, wem geholfen wird und wem nicht, wenn das Haus verschlammt oder die Ernte verdorrt ist. Wenn eine Gemeinde über Jahre von schleichenden und akuten Klimafolgen betroffen ist, so sind oft allerletzte Reserven längst verbraucht: Erntespeicher und Sparkassen sind leer, öffentliche wie private Sicherungssysteme überfordert. Hilfstransporte bleiben wegen weggespülter Straßen und Brücken auf der Strecke, Dämme brechen, wie in Libyen, ganze Landschaften stehen unter Wasser, wie in Pakistan.

Die Erwärmung ist mit Netto-Null nicht einfach umkehrbar, dafür braucht es negative Emissionen und sehr lange Zeiträume.

Was du genannt hast, vermischt sich im konkreten Fall sicher auch mit anderen Notständen, mit Korruption, mit Ausgaben für militärische Zwecke oder für irgendwelche Imagebauten von Machthabern, die andere Prioritäten setzen.

Oder Geld wird in die Erschließung von Ressourcen wie Seltenen Erden oder auch Erdöl und Erdgas investiert, oder in Kriegen verheizt. Klar, keine Frage, die Gründe für eine Klimakatastrophe sind am Ende komplex, es gibt eben viele Missstände, die alle benannt werden müssen. Auch das Nichtstun, denn auch das kostet. Es kostet Menschenleben.

Bei aller Klimaerwärmung geht es immer auch darum, wer sich am besten schützen kann – das ist auch eine Frage von Klassismus: Wer hat eine private Feuerwehr, wenn es brennt, und wer hat Geld, um noch zeitig verschwinden oder sich woanders eine neue Existenz aufbauen zu können. Wir haben jetzt viel über arme und wohlhabende Länder gesprochen, man kann auch andere Kategorien von Verwundbarkeit betrachten, die dann die soziale Frage nochmal besser fassen.


Nochmal zurück zu dem zweiten Grund, warum der Bereich „Verluste und Schäden“ beim Weltklimagipfel eine wichtige Rolle spielt – obwohl es um ein eigentlich völlig unzureichendes Budget geht. Wäre es nicht wichtiger, am anderen Ende anzusetzen, also dort, wo Emissionen das Klima belasten, die ja überhaupt erst zu diesen Katastrophen und Verlusten führen?

Ja, das Budget ist unzureichend, aber wenn es hier keine Zugeständnisse gibt, droht die Klimadiplomatie zu scheitern. Über was soll ein Land denn noch verhandeln, wenn seine Wunden ignoriert werden, die der Kolonialismus, der Kapitalismus, der Extraktivismus, die neuerlichen Landnahmen, das internationale Finanzsystem mit seiner desaströsen Schuldenpolitik nicht zu vergessen, ihm zugefügt haben? Allen voran die ehemaligen Kolonisatoren und imperialen Mächte?

Viele betroffene Länder werden bei einem Scheitern der Regeln für Loss & Damage vermutlich auch bei anderen Bereichen vorsichtig, etwa der Frage der Förderung von fossilen Energieträgern – und werden versuchen, hier Geld mit ihren eigenen Vorräten zu machen. Oder sie kooperieren mit der G77 und China sowie den Brics-Staaten und suchen hier Schutz und Sicherheit, hoffen hier auf Gelder für wirtschaftliche Entwicklung. China investiert, statt lange zu verhandeln. Das ergibt leider keine gute Dynamik für das Klima.

Denn ja – das zur zweiten Frage – selbstverständlich muss es so schnell wie möglich, eigentlich gestern, einen Stopp für fossile Brennstoffe und Energieträger geben – und damit Hand in Hand viel Support für Erneuerbare Energien, für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die Entwicklungen derzeit gehen in eine ganz andere Richtung, die fossilen werden weiter abgebaut, die Emissionen nehmen weltweit zu statt ab. Abgesehen davon: Es braucht beides. Einen internationalen Mechanismus, wie mit den Katastrophen umgegangen werden kann, denn die kommen, selbst, wenn das 1,5 Grad Ziel eingehalten werden sollte (was höchst unwahrscheinlich ist).

Mein Eindruck ist, alle reden davon, dass es eigentlich 5 nach 12 ist – und vor jeder Klimakonferenz soll es angeblich doch eine Hoffnung geben, das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Aber welche faktischen Hoffnungen gibt es denn noch?

Was einen Ausstieg aus den Fossilen anbelangt, sieht es schlecht aus. Der Ausstiegsbeschluss aus der Kohle wurde auf der COP in Glasgow vor zwei Jahren im letzten Moment von kohlereichen Staaten wie Indien und Kolumbien abgeschwächt – man einigte sich darauf, die Kohle als Energieträger herunterzufahren. Es braucht einen Beschluss zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, sonst werden schließlich alle anderen Anstrengungen immer wieder torpediert oder deren Wirksamkeit abgeschwächt.

Das große Netto-Null Ziel bedeutet nicht, dass die schon jetzt spürbare Erderwärmung, aktuell 1,2 Grad, nicht auch weiterhin zu massiven Katastrophen führen wird. Die Erwärmung ist mit Netto-Null nicht einfach umkehrbar, dafür braucht es negative Emissionen und sehr lange Zeiträume. Übrigens: Wenn das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht wird, so wird sich das Klima mit einer 90-prozentigen Chance bei zwei Grad einpendeln, das ist fatal.

Jedes Zehntel Grad, jede Tonne CO2, die in die Atmosphäre unseres Planeten entlassen wird, erfordert erhöhte Kraftanstrengungen, sie wieder loszuwerden. Und wahnsinnig hohe humanitäre Budgets, um die durch die Erwärmung beschleunigten Katastrophen irgendwie zu managen.

Klimapolitik im Spannungs­feld gewachsener Macht­asymme­trien zu bewerten heißt auch, den Einfluss von Kolonia­lismus, Klassismus, Patriarchat, Euro­zentrismus und Rassismus zu benennen.

Nur, wie kann das geschehen, was wären da deine Prioritäten?

Es gibt ja schon jetzt die Möglichkeit und auch viel Erfahrung und Wissen dazu, die Verwundbarkeit und Verletzlichkeit von Menschen gegenüber dem Klimawandel sofort zu lindern: Soziale Sicherungssysteme, gute Frühwarnsysteme, eine komplexe Katastrophenvorsorge, Agrarökologie statt agroindustrieller Landwirtschaft, dann der umfassende Ausbau der Klimaanpassung. Nur, das entlastet uns nicht am anderen Ende, die Emissionen müssen runter, eigentlich brauchen wir jetzt schon Negativemissionen.

Die von Oxfam identifizierten Klima-Krisenherde sind für lediglich 0,13 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Länder befinden sich zugleich im unteren Drittel jener Länder, die am wenigsten auf die Klimakrise vorbereitet sind.

Leider wird die Landwirtschaft bei der Klimakonferenz nur marginal behandelt. Doch insbesondere die Landwirtschaft braucht klimaschonende Methoden, um eine gesunde Ernährung zu sichern, statt ein klimabelastendes Landgrabbing für den Export von Biomasse zu betreiben. Manche erinnern vielleicht die Debatte um Biosprit. Die ressourcenintensive Agrarproduktion mit hohen Gaben an synthetischen Düngern und Pestiziden ist eine riesige Baustelle für die Frage, ob das Klima noch zu retten ist.

Viele NGO argumentieren: Auch die Verschuldung der Länder im Globalen Süden befeuert die Klimakrise – und dazu gibt es verlässliche Daten. Sie zwingt die verschuldeten Länder dazu, weiterhin fossile Energieträger zu fördern, wenn sie welche haben. Oder auch, ihre Wirtschaft auf deren Export zu stützen, um die Schulden zurückzahlen zu können.

Es braucht definitiv eine Entschuldung, jetzt. Viele können sich keine Energiewende leisten, solange sie 50 bis 80 Cent von jedem Dollar, den sie erwirtschaften, an den IWF oder die Weltbank oder sonst einen Kreditgeber abstottern müssen. Auch die Initiative aus Barbados, dass jeglicher Schuldendienst sofort auf Eis gelegt wird, damit Geld sofort in die Nothilfe fließen kann, ist unterstützenswert.

Und der Neo-Extraktivismus muss unter die Lupe genommen werden: Ich meine den Abbau von Ressourcen (wie Kobalt, Kupfer, Nickel, Seltenen Erden, Lithium und Graphit) vor allem in Ländern des Globalen Südens für die industrielle Fertigung von Gütern für die Energiewende (wie Elektromotoren oder Akkus). All das können sich Menschen in einkommensschwachen Ländern oft nicht leisten und besonders klimaschonend ist dieser Neo-Extraktivismus ohnehin nicht.

Noch ein Schlusssatz?

Die Klimakrise zu lösen und Klimagerechtigkeit eine Chance zu geben setzt voraus, Verwundbarkeit und Verletzungsmacht in komplexen Machtgefällen zu erkennen und abzubauen. Denn die Klimakrise basiert wesentlich auf diesen Machtgefällen. Klimapolitik im Spannungsfeld gewachsener Machtasymmetrien zu bewerten heißt auch, den Einfluss von Kolonialismus, Klassismus, Patriarchat, Eurozentrismus und Rassismus anzuerkennen und zu benennen. In diesem Ringen um Anerkennung geht es eben bei den genannten Schäden und Verlusten.

Shownotes - Kolleginnengespräch COP 28

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