Science-Fiction und die Schwarze Spekulative Tradition
Afrofuturismus, African Futurism und Africanfuturism
Afrofuturismus, Africanfuturism und African Futurism erweitern und kritisieren den westlich geprägten Utopiebegriff und auch die Utopiekritik. Dabei werden Räume geschaffen, um über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft afrodiasporischer und afrikanischer Gesellschaften nachzudenken.
Die Kritik der Utopie ist ebenso wichtig wie das Konzept der Utopie selbst. Utopisch denken heißt, gegebene Konstellationen in Frage zu stellen und nach unbekannten Alternativen zu suchen. Romantisierte Vorstellungen der Zukunft und des Fortschritts beispielsweise wollen auch hinterfragt werden.
Hier kommen Konzepte wie Afrofuturismus und African Futurism zum Tragen – als eigene Suchbewegungen, aber auch als Kritik utopischer Ideen europäischer Herkunft. Sie schaffen Räume um den ständigen Wandel afrikanischer soziopolitischer Zusammenhänge auszudrücken – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie erweitern den Horizont möglicher Entwicklungen und geben damit Zukunftsvorstellungen einen anders bestimmten Zweck. Ihr Spielfeld ist multidisziplinär: Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Angewandte Wissenschaften, Religion, Philosophie, Musik, Kino, Literatur, Bildende und Darstellende Künste. Dabei geht es immer um die Beziehung zwischen der afrikanischen Diaspora, Afrika selbst und der wechselseitigen Beziehung zur übrigen Welt.
Eine lange Tradition
Der Begriff des Afrofuturismus kam zwar erst in den 1990er-Jahren auf, doch das Denken dahinter gibt es schon lange. Was heute als afrofuturistisch gilt, gehört zu den Schwarzen Traditionen spekulativen Denkens, und des Nachdenkens über die Gesellschaft vor dem Hintergrund des Rassismus. Die Schwarze Spekulative Tradition entstand zur selben Zeit wie das moderne Science-Fiction-Genre in Europa. In diesen Denkschulen entstand eine afrodiasporische Moderne als Ausdruck des Widerstands gegen die weiße Vorherrschaft, gegen den Rassismus im Projekt der Aufklärung, den wissenschaftlichen Rassismus sowie die Katastrophen des europäischen und arabischen transatlantischen und trans-saharischen Sklavenhandels.
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Die Wurzeln des Afrofuturismus reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, bis in die Zeit um den Amerikanischen Bürgerkrieg, der beginnenden Ära des wissenschaftlichen Rassismus und des Imperialismus. Zwei afroamerikanische Autoren und Aktivisten, Martin Delany und Sutton E. Griggs, übten in ihren Werken, die sich in einer Schwarzen spekulativen utopischen Tradition verorteten, Kritik an der Idee, dass die europäische Aufklärung per se eine befreiende Qualität besaß. Delaney und Griggs gelten als frühe Vertreter der panafrikanischen Idee und des Schwarzen Nationalismus. Griggs, trotz viktorianischer Tendenzen, erzählte in seinem Roman »Imperium in Imperio« (1899) eine Alternate History eines Schattenkabinetts für einen Schwarzen Staat auf dem Territorium von Texas. Delaneys »Blake, Or the Huts of America« (1859) gilt als Antwort auf Harriet Beecher-Stowes »Onkel Toms Hütte« (1852) und zeichnet ein widerständiges Bild vom Zusammenleben Versklavter, an dessen Horizont eine freie Schwarze Republik auf Kuba erscheint.
So richtig an Fahrt nahm der Afrofuturismus erst in den vergangenen zehn Jahren auf. Es gab eine regelrechte Explosion von Werken, die sich auf den Afrofuturismus beziehen, jedoch über die literarischen Werke von Octavia Butler und Janelle Monáe oder die Musik von Sun Ra hinausgehen, die den klassischen Afrofuturismus begründen und sich viel mit Sci-Fi und Technologie auseinandersetzen. Vertreter*innen dieser jüngsten Welle sind die Autorinnen Andrea Hairston, Sheree Renee Thomas und der Autor und Illustrator Tim Fielder.
»Martin Delaneys »Blake, Or the Huts of America« (1859) gilt als Antwort auf Harriet BeecherStowes »Onkel Toms Hütte« (1852) und zeichnet ein widerständiges Bild vom Zusammenleben Versklavter, an dessen Horizont eine freie Schwarze Republik auf Kuba aufscheint.«
Africa Rising
Heute gilt der Afrofuturismus als eine metamoderne philosophische Position, die sich in einem liminalen Raum bewegt. Bis vor kurzem lag der theoretische und analytische Schwerpunkt des Afrofuturismus vor allem auf der afrikanischen Diaspora und ihren symbolischen und soziopolitischen Kämpfen, inspiriert vor allem von der Black experience in den Amerikas, der Karibik und Europas. Dass auch der afrikanische Kontinent in die Debatte über alternative Zukünfte Einzug nimmt ist relativ neu. Hierfür entstanden zwei neue Begriffe: African Futurism und Africanfuturism. African Futurism erfand die botswanische Künstlerin Pamela Sunstrum im Jahr 2013 als eine der ersten afrikanischen Kritiker*innen des Afrofuturismus. Sie arbeitete mit Folklore und afrikanischen Methoden des Erkenntnisgewinns. Den Begriff Africanfuturism prägte Nnedi Okorafor, eine nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin. Sie beschreibt damit afrikanische postkoloniale Science-Fiction, die vor dem Hintergrund der afrikanischen Realitäten neue Welten erschafft.
Die afrikanische Welt ist ein Region, in der es mehr traditionelles Wissen über Zeit und Raum gibt. Mit Sunstrum, Okorafor und vielen anderen werden neue, nicht-westliche Wissenschaftler*innen und Künstler*innen in einer multipolaren Welt sichtbar. Ihr Schaffen trifft den Zeitgeist und bietet eine Alternative zur traditionellen westlichen Science-Fiction.
Die zentralen Themen des Afrofuturismus, African Futurism und Africanfuturism unterscheiden sich von utopischem Denken westlicher Tradition. Ihre Narrative drehen sich um den Kampf gegen Unterdrückung und für Befreiung und verlagern die Aufmerksamkeit hin zum Kampf um die Anerkennung der Identitäten, für die Koexistenz und für die Rechte der marginalisierten Bewohner*innen der realen Welt, und damit auch auf bessere Lebensbedingungen.
Literatur
- Reynaldo Anderson und Charles E. Jones (Hg.): Afrofuturism 2.0. The Rise of Astro-Blackness. Rowman&Littefield, 2015.
- Reynaldo Anderson und Clinton E. Fluker (Hg.): The Black Speculative Arts Movement. Black Futurity, Art+Design. Rowman&Littlefield, 2019.
Dieser Artikel enthält einige Änderungen, die die im Heft abgedruckte Version nicht enthält.