verschiedene Postings aus Monika Schwarz-Friesel: »Judenhass im Internet«
Postings aus Monika Schwarz-Friesel: »Judenhass im Internet« Hentrich & Hentrich 2019 | Montage: Büro MAGENTA

»Werft die Bombe auf Israel!«

Der Antisemitismus im Internet als Echo des Anti-Judaismus

Antisemitische Äußerungen im Internet werden häufiger und heftiger. Das Netz selbst sorgt für die grenzenlose Verbreitung dieses Gedankengutes. Was sind die Charakteristika des digitalen Judenhasses?

von Monika Schwarz-Friesel

15.11.2020
Veröffentlicht im iz3w-Heft 381
Teil des Dossiers Antisemitismus

Nicht erst seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, nicht erst im Zuge der Corona-Pandemie mit ihren ausufernden antisemitischen Verschwörungsphantasien im Netz und auf der Straße hat Judenfeindschaft 75 Jahre nach der Erfahrung Auschwitz wieder ein furchterregendes Ausmaß angenommen: Die empirische Antisemitismusforschung belegt durch eine erstmalig durchgeführte umfangreiche Detailstudie (»Judenhass im Internet 2019«), dass seit Jahren die Kodierung und Verbreitung sowie die Radikalisierung von Antisemitismen über das Web 2.0 zunimmt. Diese Entwicklung in der virtuellen Welt korreliert in der realen Welt mit judenfeindlichen Übergriffen und Attacken, Drohungen und Beleidigungen sowie einem »neuen Unbehagen«, das heißt Furcht und Sorge in den jüdischen Gemeinden Deutschlands und Europas.

Untersucht wurde über fast fünf Jahre hinweg, welche antisemitischen Inhalte in diversen Bereichen des World Wide Web auf welche Weise zugänglich gemacht und verbreitet werden. Dabei wurden die Antisemitismen in den aktuellen Verbalisierungen den Stereotypen des klassischen, des Post-Holocaust und israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet. Der klassische, im kollektiven Gedächtnis verankerte Anti-Judaismus erweist sich dabei als die Grundlage für alle aktuellen Manifestationen. Weiter zeigte sich, wie affektiv die antisemitische Kommunikation ist und welche Rolle insbesondere die Emotion des Hasses bei der Artikulation der Texte spielt.

Die anti­semitischen Online-Kommen­tare zwischen 2007 und 2018 haben sich teilweise ver­dreifacht

Durch die Spezifika der Internetkommunikation (aktive Netzpartizipation, Schnelligkeit, freie Zugänglichkeit, Multimodalität, Anonymität, globale Verknüpfung) und die steigende Relevanz der Sozialen Medien als meinungsbildende Informationsquellen in der Gesamtgesellschaft hat die schnelle, ungefilterte und nahezu grenzenlose Verbreitung judenfeindlichen Gedankenguts allein rein quantitativ ein Ausmaß erreicht, das es nie zuvor in der Geschichte gab. Die Digitalisierung der Informations- und Kommunikationstechnologie hat »Antisemitismus 2.0« online schnell, multi-modal und diffus multiplizierbar gemacht. Jeden Tag werden Tausende neue Antisemitismen gepostet und ergänzen die seit Jahren im Netz gespeicherten und einsehbaren judenfeindlichen Texte, Bilder und Videos. Im 10-Jahres-Vergleich hat sich die Anzahl der antisemitischen online-Kommentare zwischen 2007 und 2018 teilweise mehr als verdreifacht. Somit treffen immer mehr User*innen auf immer mehr antisemitische Postings. Es gibt zudem kaum noch einen Diskursbereich im Web 2.0, in dem Nutzer*innen nicht Gefahr laufen, auf antisemitische Texte zu stoßen, auch wenn sie nicht aktiv danach suchen. Das Internet fungiert, insbesondere in den alltäglichen Kommunikationsbereichen der Sozialen Medien, als Multiplikator, da es Antisemitismen in großem Ausmaß zugänglich macht, sie global und auf allen Ebenen des Web 2.0 verbreitet und damit der Normalisierung von Judenhass Vorschub leistet.

Mittelalterliche Metaphern im Netz 2.0

Analysen zu Google-Suchen und Ratgeber-Portalen zeigen, dass mit nur einem Klick nach Eingabe eines Schlagworts wie Jude(n), Judentum, Pessachfest oder Israel User*innen unvorbereitet auf Antisemitismen treffen, etwa auf die Frage »Wieso sind Juden immer so böse« bei Gutefrage.net, die seit 2011 einsehbar ist. Antisemitismen finden sich also keineswegs nur in politisch orientierten Diskursbereichen, sondern vor allem in den viel benutzten Alltagsmedien des Web. Auch Analysen zu den Kommentaren bezüglich der Solidaritätsaktionen gegen Antisemitismus (Nie wieder Judenhass und Berlin trägt Kippa) belegen die Infiltration dieser Kommunikationsstrukturen.

Die aktuellen Manifestationen von Antisemitismus des 21. Jahrhunderts basieren kognitiv auf tradierten judeophoben Stereotypen und emotional auf dem kollektiven Gefühl des Hasses und stellen somit eine moderne Re-Aktivierung des tief verankerten Anti-Judaismus dar. Der israelbezogene Antisemitismus, die dominante Manifestationsform von aktueller Judenfeindschaft, folgt dabei dem uralten Adaptionsmuster von Judenhass, diejenige Existenzform des Judentums (in diesem Fall den Staat Israel) negativ zu fokussieren, die opportun diffamiert werden kann.

Antisemi­tismus ist als integraler Teil der Netz­kultur 2.0 zu bewerten

Antisemitismus ist nicht bloß ein Vorurteilssystem, sondern ein Weltdeutungs- und Glaubenssystem, das in der abendländischen Kultur verankert ist. Über Sprachgebrauchsmuster werden judenfeindliche Stereotype ständig reproduziert und bleiben damit im kollektiven Bewusstsein. Auch die Erfahrung des Holocaust hat diese Tradition nicht gebrochen. Klassische Stereotype der Judenfeindschaft prägen maßgeblich den Antisemitismus 2.0. Zu konstatieren ist, dass Juden- und Israelhass eine konzeptuelle Symbiose bilden, die maßgeblich vom Kollektiv-Konzept des Ewigen Juden mit seinen über Jahrhunderte hinweg konstruierten Merkmalen Juden als Fremde / Andere / Böse, als Wucherer, Ausbeuter und Geldmenschen, als Rachsüchtige Intriganten und Machtmenschen, Mörder, Ritual- und Blutkultpraktizierer, Landräuber, Zerstörer und Verschwörer determiniert wird. Hier zeigt sich das Echo der Vergangenheit. Bis auf oberflächliche Variationen in den Kodierungen gibt es dabei keine wesentlichen Unterschiede zwischen Antisemitismen von rechten, linken, muslimischen und User*innen der Mitte. Trotz stilistischer Differenzen ist der Sprachgebrauch der meisten Verfasser*innen antisemitischer Texte sehr ähnlich und weist bis in die argumentative Detailstruktur der Texte hinein äquivalente Muster auf. Dies belegt den Einfluss der im kollektiven Gedächtnis gespeicherten Muster, die teilweise auf mittelalterliche Dämonisierungsmetaphorik rekurrieren: »Ich unterstütze keine Mörder. ..isreal is der Teufel der neuzeit«. Auch die erkennbar gebildeten Schreiber*innen rekurrieren auf klassische Stereotype der Judenfeindschaft und verwenden judeophobe Argumente, die insgesamt von einer hohen Emotionalität und moralischen Hybris determiniert werden: »Wir Deutschen müssen Israel unter die Arme greifen«.

Im Israelhass treffen sich alle Antisemiten. Die Israelisierung der antisemitischen Semantik zeigt sich dabei auch in Themenfeldern, die in keiner Relation zum Nahostkonflikt stehen. Der muslimische Antisemitismus ist (wie alle anderen Manifestationen) in erster Linie geprägt von Stereotypen der klassischen Judenfeindschaft und nicht von politischer Empörung. Aufgrund der Homogenität von israelbezogenen Antisemitismen sind keine klaren Grenzen zwischen unterschiedlich politisch oder ideologisch motiviertem Judenhass zu ziehen. Das führt zu einer Nivellierung der Positionen und zugleich (aufgrund dieser uniformen Adaptation) zu einer Konsolidierung des judenfeindlichen Ressentiments. Die Quasi-Identitätsstrukturen, auf die User*innen tagtäglich in allen Diskursbereichen und auf allen Ebenen des Internets stoßen, verfestigen und intensivieren den Eindruck, diese Form der Juden- und Israelfeindschaft sei normal und legitim.

Digitales Schnupperabo

Drei Monate schnuppern, lesen, schmökern.

Schnupper-Abo

Mit dem digitalen Schnupper-Abonnement für 10 Euro hast du drei Monate Zugang zu allen Inhalten unseres Online-Magazins und allen Podcasts. Das Abo verlängert sich nicht automatisch.

Um das Schnupperabo abschließen zu können, musst du dir einen Account hier bei iz3w.org anlegen. Einfach unter Login registrieren!

Israelhass als »politisch korrekter« Antisemitismus

Verstärkt wird dies durch die zahlreichen Strategien der Abwehr, Leugnung, Umdeutung und Marginalisierung des israelbezogenen Judenhasses. Dies zeigte sich zuletzt auch deutlich bei der virulenten Mbembe-Debatte. Wenn Achille Mbembe im Buch »Apartheid Israel« unter anderem schreibt, die Besetzung Palästinas sei »der größte moralische Skandal unserer Zeit«, so de-realisiert er und dämonisiert Israel, weist zugleich aber vehement jede Kritik an seiner Rhetorik zurück. Offensichtliche Antisemitismen werden als »Kritik« und im Unterhaltungssektor, etwa im deutschsprachigen Rap als »Kunst- oder Meinungsfreiheit« re-klassifiziert, um in Einklang mit der offiziellen Bewertung im Post-Holocaust-Bewusstsein politisch korrekt und sozial angemessen zu erscheinen.

Das Sag- und Sichtbarkeits­feld für Antisemi­tismus im Web 2.0 hat sich exorbitant ver­größert

Entsprechend werden Antisemitismen vielfach camoufliert kodiert: Nicht die Lexeme Juden und Judentum, sondern Substitutionen wie Israelis, Zionismus, Chiffren wie Rothschild, vage Paraphrasen wie »jene einflussreichen Kreise« oder rhetorische Fragen wie »Warum sind Zionisten böse?« werden benutzt, um judenfeindliche Semantik zu verbreiten. Die Zunahme der Artikulation von de-realisierenden NS-Vergleichen, Kolonialismus-Analogien, brachialen Pejorativa (»Unrat, Pest, Krebsgeschwür«) und Gewaltphantasien im Sinne des eliminatorischen Antisemitismus (»Werft die Bombe auf Israel!«) belegt zugleich aber auch die Tendenz der verbalen Radikalisierung sowie eine deutliche Absenkung der Tabuisierungsschwelle.

Entsprechend hat sich das Sag- und Sichtbarkeitsfeld für Antisemitismen im Web 2.0 exorbitant vergrößert. Das quantitative Ausmaß judenfeindlicher Kodierungen auf allen Diskursebenen, ihre multiple Verbreitung und semantische Homogenität bewirken, dass Antisemitismus als integraler Teil der Netzkultur 2.0 zu bewerten ist. Insbesondere junge User*innnen erleben im Web kaum noch Grenzen zwischen informationsvermittelnden und rein meinungsbeeinflussenden, manipulativen Textsorten: Diese Zuordnungsprobleme bewirken Intransparenz und Orientierungslosigkeit in Bezug auf die Kategorie der ‚Faktizität‘. Insgesamt beschleunigt und intensiviert die Netzkommunikation sowohl die Tradierung als auch die Akzeptanz und Normalisierung von judenfeindlichem Gedanken- und Gefühlsgut.

Die Aufklärungsbemühungen der letzten Jahrzehnte haben in der Gesellschaft nicht flächendeckend gewirkt, und die Thematisierung der Gefahr von diffamierenden und dämonisierenden Sprachgebrauchsmustern haben nicht zu einer Sensibilisierung im Umgang mit Antisemitismen geführt. Antisemitismus ist heute in Deutschland immer noch und seit einigen Jahren wieder zunehmend ein besorgniserregendes Phänomen.

Monika Schwarz-Friesel ist Kognitionswissenschaftlerin und Antisemitismusforscherin an der TU Berlin. Sie ist Verfasserin unter anderen der Bücher »Gebildeter Antisemitismus« (2015), »Inside the Antisemitic Mind«, mit Jehuda Reinharz, (2017) sowie »Judenhass im Internet« (2019). Als Expertin für Antisemitismus berät sie Institutionen im In- und Ausland, etwa die Aktion »stopantisemitismus« der ZEIT-Stiftung.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 381 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen