Umweltschüter*innen protestieren, eine Frau schaut ins Bild, Sicherheitskräfte des Staates überprüfen
Bisher ein angespanntes Verhältnis: Der Staat und Kolumbiens Umweltschützer*innen. Protest in Ituango, Antioquia, 2018 | Foto: Mauricio Mejia Muñoz | CC BY-NC-SA 2.0

Vom fossilen zum grünen Extrakti­vismus?

Kolumbiens Ausstieg aus Kohle und Erdöl

Die neue Regierung in Kolumbien will eine Vorreiterrolle in der Energiewende einnehmen und verkündet eine Abkehr vom Kohle- und Erdölexport. Doch führt der Weg aus der fossilen Wirtschaft auch aus der Rohstoffabhängigkeit heraus? Die für die Batterieherstellung international gefragten Kupfervorkommen im Landessüden und der Wasserstoff an der Karibikküste verstetigen möglicherweise die Rolle Kolumbiens als Lieferant günstiger Rohstoffe für die Weltwirtschaft.

von Nadia Combariza und Stefan Peters

15.10.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 393
Teil des Dossiers Rohstoffe

»Die Kohle und das Erdöl sind die beiden Hauptgifte dieser Welt«, betont Kolumbiens Präsident Gustavo Petro am 19. September 2022 auf der UN-Generalversammlung in New York. Das ist keine selbstverständliche Äußerung für einen Staatschef, dessen Land bisher stark auf diese beiden fossilen Exportgüter angewiesen ist. Doch Kolumbiens erster linksgerichteter Präsident, der seit 7. August im Amt ist, hat andere Pläne. Es soll ein schrittweiser Ausstieg aus dem rohstoffbasierten Entwicklungsmodell erfolgen und dieser soll mit der Förderung wirtschaftlicher Diversität und kleinbäuerlicher Landwirtschaft einhergehen. Allerdings werden die entsprechenden Reformprozesse mit großen Herausforderungen konfrontiert sein.

Aktuell machen Primärgüter etwa 75 Prozent der kolumbianischen Exporte aus. Die größte ökonomische Bedeutung haben dabei fossile Energieträger. Allerdings hat sich das kolumbianische Extraktionsmodell in den vergangenen Jahrzehnten diversifiziert. Zusätzlich zur Ausbeutung von Öl, Gas und Kohle haben der industrielle Goldbergbau und der agrarische Extraktivismus von Palmöl an Bedeutung gewonnen. Die Ausrichtung auf den Rohstoffexport brachte in Boomphasen ein hohes Wirtschaftswachstum, trug jedoch gerade in den Förderregionen nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensbedingungen bei. Im Gegenteil: Viele Fördergebiete leiden nicht nur unter sozio-ökonomischer Marginalisierung, sondern auch unter den negativen sozial-ökologischen Konsequenzen des Extraktivismus, gewaltsamen Auseinandersetzungen um territoriale Kontrolle und Rohstoffrenten sowie massiven Bedrohungen gegenüber Gegner*innen des Extraktionsmodells. Laut der Nichtregierungsorganisation Global Witness werden in keinem Land der Welt mehr Umweltaktivist*innen ermordet.

Die offenen Adern schließen

Dagegen setzt die neue Regierung auf eine Kombination aus drei Maßnahmenfeldern: einer aktiven internationalen Klimapolitik; der schrittweisen Abkehr von der Ausbeutung und dem Export fossiler Energieträger; sowie der Förderung der Energiewende. Es geht dabei erstens um die internationalen klimapolitischen Initiativen zum Schutz des Amazonas. Konkret fordert die kolumbianische Regierung, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung für den globalen Klimawandel gerecht werden solle und als Kompensation für Maßnahmen zum Schutz des kolumbianischen Amazonasgebietes die Auslandsschulden des Landes reduziert.

Entsprechende Ansätze sind nicht neu, aber sie konnten in der Vergangenheit nicht die erhoffte Wirkung entfalten. Bereits 2013 scheitere die Yasuni-ITT-Initiative Ecuadors, die im Gegenzug zum Verzicht auf die Ausbeutung von Erdölvorkommen im Amazonasgebiet Kompensationszahlungen von internationalen Gebern forderte. Angesichts des schwierigen internationalen Kontextes mit wachsenden Militärausgaben, schrumpfenden Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit sowie der politischen Fokussierung auf die Erschließung neuer (fossiler) Energiequellen stellt sich die Frage, inwiefern es der kolumbianischen Außen- und Klimapolitik gelingen wird, entsprechende Zusagen der Länder des Globalen Nordens zu erhalten. Dies scheint immerhin nicht vollkommen aussichtslos zu sein. Sollte die Internationale Gemeinschaft einer durchdachten kolumbianischen Initiative die kalte Schulter zeigen, könnte dies angesichts der erhöhten Problemwahrnehmung beim Klimawandel zum Bumerang werden. Die internationalen Forderungen nach einem besseren Schutz des Amazonas ständen als billige Rhetorik da.

Ein Wasserstoff­boom könnte nicht­staatliche Akteure stärken

Ein zweiter Faktor betrifft den Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Während Kolumbien weiterhin über üppige Steinkohlevorkommen verfügt, werden die konventionellen Erdöl- und Erdgasreserven des Landes bald erschöpft sein. Angesichts der dringend notwendigen globalen Energiewende und Dekarbonisierung der Weltwirtschaft kann kein Zweifel bestehen, dass der Export von Erdöl, Erdgas und Kohle ein Auslaufmodell ist. Allerdings wächst im Kontext der aktuellen Energiekrise, hoher Weltmarktpreise für fossile Energieträger sowie dringenden Bitten aus Europa und Deutschland nach einer Ausweitung der Kohleexporte, die Attraktivität einer kurzfristigen Steigerung der umstrittenen Kohleexporte. Denn die kolumbianische Regierung benötigt für die Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation und die Linderung der sozialen Krise erhebliche finanzielle Ressourcen. Auch angesichts der hohen Verschuldung des Landes erscheint die Ausnutzung einer Hochpreisphase auf dem Weltmarkt als attraktive Möglichkeit, die Rohstoffe noch vor dem Ende des fossilen Zeitalters zu exportieren und damit Wirtschaftswachstum und Staatseinnahmen zu generieren. Dieser vermeintlich temporäre Rückgriff auf das süße Gift des Extraktivismus erinnert gleichwohl an gescheiterte Transformationsprojekte progressiver lateinamerikanischer Regierungen vom Beginn des 21. Jahrhunderts. Insbesondere die Erfahrungen der Regierung von Rafael Correa in Ecuador nähren die Skepsis gegenüber Ansätzen, die den Extraktivismus zur Finanzierung von Transformationsprojekten zu seiner eigenen Überwindung nutzen wollen.

Neue Landkonflikte in Grün

Schließlich wird drittens von der Politik bisher kaum beachtet, dass auch eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende keineswegs das Ende des Extraktivismus bedeuten würde. Im Gegenteil: Die Elektrifizierung hat in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach kritischen Metallen für die Energietransition (etwa Kobalt, Kupfer, Lithium, Nickel) deutlich erhöht. In Kolumbien finden sich etwa im südlichen Departamento Putumayo erhebliche Kupfervorkommen. Deren Ausbeutung würde nicht nur den schrittweisen Ausstieg aus dem Extraktivismus, sondern auch die angekündigte Initiative zum Schutz des Amazonas konterkarieren, sowie gleichzeitig die Gefahr neuer Konflikte schüren und Kolumbien weiterhin auf die Rolle des Lieferanten günstiger Rohstoffe für die Weltwirtschaft festlegen.

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Ähnliche Risiken zeigen sich auch mit Blick auf den neuen Star der Debatte um eine klimafreundliche Entwicklungspolitik: den grünen Wasserstoff. Insbesondere die kolumbianische Karibikküste hat ein großes Potenzial bei der Generierung von grünem Wasserstoff aus Wind- und Solarenergien. Die im Vergleich zu Argentinien, Chile und Uruguay geringeren Transportkosten nach Europa erhöhen die Attraktivität der Wasserstoffpartnerschaft mit Kolumbien zusätzlich. Bereits heute sind jedoch sozial-ökologische Land- und Wassernutzungskonflikte – wie sie bereits aus der Kohleförderung in der Region bekannt sind – absehbar. Zudem perpetuiert die Ausrichtung auf den Export grünen Wasserstoffs zur Befriedigung des Energiebedarfs des globalen Nordens den Extraktivismus und die Nord-Süd-Asymmetrien. Besonders besorgniserregend ist jedoch, dass die Regionen mit dem größten Potenzial zur Produktion von grünem Wasserstoff oft von paramilitärischen Gruppen kontrolliert werden. In Kombination mit absehbaren Landnutzungskonflikten steht zu befürchten, dass ein Wasserstoffboom nichtstaatliche Gewaltakteure stärken und Bemühungen zur Förderung des Friedens ausbremsen wird. Hier gilt es gegenzusteuern und partizipative Lösungen für eine Produktion sauberer Energie mit Fokus auf die Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften sowie der Förderung des Friedens zu entwickeln.

Transformation oder Anpassung?

Die neue kolumbianische Regierung hat im Land große Hoffnungen auf einen tiefgreifenden Wandel hervorgerufen und wird auch international aufmerksam beobachtet. Das Regierungsprogramm beinhaltet eine sozial-ökologische Transformation, den Schutz des Amazonas sowie die Abkehr vom extraktivistischen Entwicklungsmodell. Die Reformagenda trägt der Erkenntnis Rechnung, dass das bisherige Entwicklungsmodell weder wirtschaftlich noch sozial noch ökologisch zukunftsfähig ist.

Allerdings kommt der Bruch mit dem Extraktivismus einer Herkulesaufgabe gleich. Von zentraler Bedeutung ist der Aufbau alternativer Wirtschaftssektoren. Hieran sind in der Vergangenheit verschiedene Regierungen unterschiedlicher Couleur und teilweise unter deutlich günstigeren internationalen Rahmenbedingungen immer wieder gescheitert. Mit Blick auf die globale Energiewende und die fortwährende Externalisierung der sozio-ökologischen Auswirkungen des energieintensiven Lebensstils der Mittel- und Oberschichten in die Förderregionen des Globalen Südens steht zu befürchten, dass sich die sozial-ökologische Transformation in einem in Teilen grünen Extraktivismus erschöpfen wird.

Nadia Combariza ist Doktorandin am SDGNexus Network der Justus-Liebig-Universität Gießen und forscht zu Just Transition und postextraktivistischen Zukünften in Kolumbien. Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) mit Sitz in Bogotá.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 393 Heft bestellen
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