In seinem neuen Buch Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt nimmt sich der Investigativjournalist Mohamed Amjahid einiges vor, nämlich die Durchleuchtung des Systems Polizei. Das Ergebnis ist ein umfangreiches Sachbuch zum Thema Polizei, das sämtliche Felder abdeckt: von rassistischen Lehrbüchern in der Polizeiausbildung, dem problematisch jungen Alter der Polizist*innen, der Cop Culture – Cops decken sich gegenseitig – bis zu Racial Profiling und Copaganda – Propaganda für die Polizei, zum Beispiel durch die Krimireihe Tatort und die Kinderserie Paw Patrol.
Es ist erfreulich, dass ein Journalist nicht vor einer grundlegenden Polizeikritik zurückschreckt
Einen besonderen Fokus legt Amjahid auf Polizeigewalt und rechte Netzwerke in der Polizei. So schildert er mehrere Fälle von Polizeigewalt, die zeigen, dass es hier Muster gibt und es sich keineswegs um Einzelfälle handelt, wie oft behauptet wird. Das Buch macht klar: Die Polizei ist eher eine Gefahr als ein Schutz für die Gesellschaft, vor allem für rassifizierte und psychisch kranke Menschen.
Ein Problem dabei sind stark vertretene rechte Gesinnungen innerhalb der Polizei. Neben den immer wieder öffentlich gewordenen rechten Chatgruppen, in denen rassistische, antisemitische, sexistische und ableistische Memes und Inhalte geteilt wurden, gibt es mit dem NSU 2.0 auch ein Netzwerk mit polizeilichen Verbindungen, das aktiv Drohbriefe an rassifizierte Menschen und vor allem Frauen schickte. Der Autor zeigt mit privaten Einblicken auf, was dies für Betroffene bedeutet.
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Zum Schluss untersucht Amjahid auch Reformansätze wie etwa die Verankerung von Diversität in der Polizei. Die meisten Reformansätze kassieren im Buch vernichtende Urteile, wie beispielsweise das Vorurteilstraining in der Polizei. Schließlich bringe es wenig, wenn Polizist*innen bei auf Schikane angelegten Durchsuchungen von muslimischen Haushalten vorher die Schuhe ausziehen. Die Umsetzung effektiver Ansätze wie Defund the Police, also einer geregelten Abwicklung, ist in Deutschland bei Weitem nicht in Sicht. So beendet Amjahid sein Buch mit Hinweisen, was man gegen Polizeigewalt tun kann.
Es ist erfreulich, dass ein Journalist nicht vor einer grundlegenden Polizeikritik zurückschreckt, sondern diese immer wieder hervorhebt und weitergehend auf die innenpolitische und justizielle Deckung von problematischen Polizeipraktiken ausdehnt. Dabei scheut Amjahid auch nicht davor zurück, seine Kolleg*innen im Journalismus für deren fahrlässig vertrauensvollen Umgang mit der Polizei zu kritisieren (ebenso wie den eigenen Verlag, bei dem eine Polizistin ihre rassistischen Gedanken veröffentlichen durfte).
»Alles nur Einzelfälle?« ist reich an kritischen Inhalten, aber auch an teils unterhaltsamen, teils erschreckenden Anekdoten. Allerdings bleibt das Buch durch die schiere Menge an Themen und Material im Einzelnen stellenweise oberflächlich. So empfiehlt sich als vertiefende Ergänzung bei diesem Thema die Lektüre des ehemaligen Polizisten und Soziologen Rafael Behr sowie von Vanessa E. Thompson und Daniel Loick (iz3w 383). Das Buch ist teilweise flapsig geschrieben, was sicherlich auch mit dem Wunsch nach einem breiten Publikum verbunden ist. Letzteres ist dem Buch auf jeden Fall zu wünschen.