»Es gibt kein grünes Klima in Europa ohne Afrika«

Interview mit der Eine-Welt-Promotorin Sylvia Holzhäuer-Ruprecht

Der Klimawandel und seine Auswirkungen zeigen sich aktuell zum Beispiel in der Flucht von Menschen vor Überschwemmungen in Somalia. In den Nachrichten wird die Abhängigkeit ärmerer Länder vom Geld der Industriestaaten betont, um die Folgen des Klimawandels aufzufangen. Die Menschen in den Industriestaaten werden nicht als Verursacher des Klimawandels benannt.

Die Bilder von fliehenden Menschen und die Spendenaufrufe machen unsichtbar, dass eigentlich die europäischen Länder von den Ressourcen des Globalen Südens abhängig sind. Ohne sie werden sie keine Energiewende schaffen. Im Interview erläutert die entwicklungspolitische Bildungsreferentin Sylvia Holzhäuer-Ruprecht, warum koloniale Narrative in der Klimakrise noch machtvoll wirken – und wie Migration und Klimaflucht zusammenhängen.

von Eva Gutensohn

27.11.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

Sie sind eine Gründerin von »Simama – STEH AUF e.V.« Welche Ziele hat der Verein?

„Simama“ heißt „Steh auf!“ und ist ein Appell an alle, die anders gelesen werden, an die migrantische Diaspora, sich in die Gestaltung ihrer unmittelbaren Lebensräume einzumischen. Und gleichzeitig zu schauen: Was habe ich in diese Gesellschaft mitgebracht? Unsere Haltung bei SIMAMA – STEH AUF e.V. ist, dass du zu 100 Prozent gebraucht wirst, daher: Mach dich auf den Weg, bring dich ein! Denn wir sind da zu Hause, wo wir leben und haben das Recht mitzugestalten.

Wir haben in diesem Jahr ein Mindchangers-Projekt vom Land Baden-Württemberg und der EU gefördert bekommen, »Champions for Change«. dDarin schauen wir, was Migration mit Klimawandel und Klimagerechtigkeit zu tun hat. Junge Menschen fragen sich, was mit ihnen und vor allem mit ihren Herkunftsländern durch den Klimawandel passiert. Migration wird oft nicht als durch den Klimawandel verursacht gesehen. Gleichzeitig muss man Migration erstmal definieren. Da haben wir bei den Geflüchteten aus Ukraine in Deutschland sehr große Unterschiede gesehen, z.B. wer ist willkommen, wer nicht. Wir beobachten genau, was in Afrika passiert, was mit den Menschen passiert, deren Lebensräume durch den Klimawandel zerstört werden.

Nach Hitzerekorden gibt es gerade in einigen Gebieten Afrikas sehr viel Hochwasser durch Starkregen. In Somalia mussten über zwei Millionen Menschen umgesiedelt werden, in erster Linie als Binnenmigrant*innen, also Migrant*innen innerhalb ihres Landes. Nach Europa kommen nur Wenige. Wir sehen trotzdem immer wieder Menschen, die im Mittelmeer sterben. Für junge Leute ist es wichtig, zu schauen, was Migration mit uns macht. Wer ist willkommen und wer nicht, daran sehen wir einen sehr großen Unterschied in der Handhabung des Asylrechts. Es verletzt die Menschenrechte, wenn Schwarze Menschen, die in der Ukraine arbeitet oder studiert hatten, nicht eine Aufnahme in Deutschland erfahren haben.

Menschen an den Gren­zen abzu­weisen, aber gleich­zeitig ihre Res­sourcen zu nutzen, ist nicht fair

Haben Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit Migrant*innen den Eindruck, dass der Klimawandel mittlerweile auch ein Grund ist, das Land in Richtung Europa zu verlassen?

Die Auswirkung des Klimawandels ist bekanntermaßen am meisten im Globalen Süden spürbar: Trockenheit, aber auch unerwartet viel Regen, Hitzerekorde – zudem es dort ja schon immer eher warm ist. Doch auch Migration durch Extraktion der Rohstoffe, durch Umweltschäden, das wird oft nicht berücksichtigt. Wir fragen, was dies mit Lebensräumen von Menschen macht.

Laut Genfer Konvention ist der Klimawandel bis heute keine Fluchtursache. Umgekehrt wird hierzulande von Fluchtmassen gesprochen, die nach Europa kommen, aber das entspricht nicht der Realität. Die Menschen, die tatsächlich in Europa ankommen, sind ganz wenige. In Deutschland leben nur ca. 1 Prozent Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Die meisten flüchten, um zu überleben, nicht wegen des Luxus in Europa.

Warum sollte der Klimawandel als Fluchtursache anerkannt werden? Und was ist Ihr Appell an die Genfer Konvention diesbezüglich?

Es müssen mehr Menschen an den Tischen sitzen, die die Fluchtursachen aus eigener Erfahrung oder der ihrer unmittelbaren Umgebung definieren. Es geht nicht alleine nur um politische Verfolgung oder Religion oder Krieg. Es gibt auch die Auswirkungen des Kolonialismus, die noch nicht als Ursache von Armut anerkannt werden oder der mangelnde Zugang zu Gesundheitsversorgung.

Nicht nur der Globale Norden sollte über Fluchtursachen oder andere globale Dinge entscheiden dürfen. Da müssen auch andere Perspektiven gesehen werden, denn sonst gibt es eine einseitige Deutungshoheit, die auch selbstverstärkend von allen akzeptiert wird.

Menschen an den Grenzen abzuweisen, aber gleichzeitig ihre Ressourcen zu nutzen ist nicht fair. Es gibt kein grünes Klima in Europa ohne Afrika, denn die Zukunft Europas liegt in Afrika oder Südamerika, wo die Ressourcen sind. Die Anerkennung und Übernahme der Verantwortung durch den Globalen Norden für die Klimakrise und die Extraktionspolitik der Industriestaaten im Wirtschaftssystem, all das geht miteinander einher.

Es ist wichtig, dass man sich fragt, wo dieser Wohlstand überhaupt herkommt. Das sind Ressourcen, die besser verteilt werden sollten. So viel, wie der Norden hat, braucht er nicht. Wachstum braucht nicht nur neue, faire Werte, sondern ein neues Gesicht.

Wie beurteilen Sie unser hiesiges Bild über den Globalen Süden mit Blick auf die Klimaerwärmung? Welche Bilder werden da vermittelt und warum?

Es gab immer die Perspektive des Okzidents, die determiniert, wie manche Dinge gesehen werden. Der Diskurs über den Klimawandel, zum Beispiel dem Globalen Süden zu sagen, er müsse beim Klimaschutzprogramm mitwirken, finde ich unfair. Der Globale Süden ist nur für 0,013 Prozent des gesamten Ausstoßes verantwortlich.

Wie soll der globale Süden das machen? Sie haben das Geld nicht, um grüne Energie für alle bereitzustellen, aber sie haben die Rohstoffe dafür. Es wird das Bild vermittelt, die Regierungen im Globalen Süden müssten an ihrer Wirtschaft arbeiten, sie hätten doch Ressourcen, um Wohlstand zu steigern. Und gleichzeitig extrahieren Unternehmen im Globalen Süden die Ressourcen, zum Beispiel allein aus Kongo Kobalt, Kupfer, Zink, Silber, Diamanten, Germanium, Uran sowie die sogenannten Konfliktminerale Zinn, Tantal/Coltan, Wolfram und Gold, weitere Beispiele Uran aus dem Niger, Kobald und Nickel aus Peru, Platin aus Südafrika, Seltene Erden aus Chile. Oder man möchte die Wasserstoffenergie in Namibia für Deutschland produzieren. Aber die Klimakrise ist nicht die Frage. Wieso kann man in Deutschland, das technologisch so hoch entwickelt ist, nicht andere erneuerbare Energien produzieren, ohne dass wir die Ressourcen des Globalen Süden brauchen? Denn das schafft eine Art von Neokolonialismus, der nicht vorsieht, dass die Auswirkungen der Klimakrise besprochen und angegangen werden. Dies rückt immer wieder in den Hintergrund.

Stattdessen sind wir immer in einem Dialog über Migration und Krieg, aber man vergisst die Ursache der Klimakrise. Gerade hört man kaum etwas über die Entwicklungen und Krisen in Afrika. Die Schlagzeilen befassen sich mit Ukraine und jetzt mit dem Nahostkrieg.

Die Medien berichten kaum über die Fluchtursachen des Klimawandels. Und die Europapolitik in Bezug auf die Rohstoffe und Extraktion macht Fortschritte und forciert die Extraktion. In den meisten Ländern mit Ressourcen für den Globalen Norden herrschen Krieg oder Unruhen, die Migration erzeugen, ohne dass die Ursachen oder die Profiteure aus dem Globalen Norden dafür einstehen oder die Öffentlichkeit in Deutschland dies wahrnimmt.

»Wenn margina­lisierte Gruppen in die Ent­scheidungs­prozesse einbe­zogen werden, habe ich Hof­fnung.«

Was man auch gerne vergisst: Der Globale Süden hat schon seit 500 Jahren vor der Klimakrise gewarnt. Bereits damals war es unnatürlich, unmenschlich, wie die Europäer*innen auch dort im Globalen Süden mit der Natur umgingen.

Der Globale Süden ist wach und fragt sich, wie es zur jetzigen Situation kommen konnte: vergiftete Natur, vergiftetes Wasser, genmanipulierte Produkte, genmanipuliertes Saatgut als vermeintliche Lösung von Hungersnöten, aber hier im Westen will man bio und regional essen.

Somit geht die Losung aus dem Norden: »global denken, lokal handeln« nicht auf, da muss man sich schon mit der Wahrheit konfrontieren. Wenn ich morgen Schokolade kaufe, mag die zwar Fair Trade sein, die Kakao-Bäuerinnen und Bauern bekommen etwas mehr Verdienst, bleiben trotzdem arm.

Es gibt viele Veränderungen, die der Klimawandel nicht nur in der Atmosphäre, sondern auch im Boden verursacht. Der Umgang mit Wasser, Land und Pestiziden ist ein Problem und auch Ursache für Wetterveränderungen.

Und wenn man in Bezug auf den Globalen Süden immer das Narrativ von Armut und Hunger bedient, sollte man sich fragen, warum ist das so? Die Menschheit produziert ca. 20% mehr Lebensmittel als heute gebraucht werden. Hier haben wir Lebensmittelverschwendung, aber wie kommen diese Lebensmittel hierher? Wer konsumiert die Produkte, die im Globalen Süden auf den dortigen Flächen produziert werden?

Die Probleme sind bekannt, die Ursachen sind bekannt und die Verantwortlichkeiten sind es auch. Aber der Norden hat ja ein Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es ist – den Klimawandel will er zwar nicht, aber den Wohlstand schon und wenn es geht, mit möglichst wenig Geflüchteten. Hat der Süden denn überhaupt irgendeinen Handlungsspielraum, also konkret Macht, den Norden zu irgendetwas zu bewegen?

Das ist eine sehr komplexe Frage, weil das eine sehr lange Vorgeschichte hat, die wir nur gemeinsam angehen können. Wir wissen alle, dass das Wachstum so nicht weitergehen kann, trotzdem ändern wir bis dato nichts. Noch nie war der Mensch so reich wie heute, noch nie war der Mensch so arm wie heute. Das hat damit zu tun, dass unser kapitalistisches Verteilungssystem ungerecht ist, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer statt kleiner. Der Norden ist nicht bereit, globale Verantwortung für seinen Handeln zu übernehmen.

Aber in Afrika z.B. gibt es gerade einen Wandel, die Menschen kommen zusammen. Am 20. November 2023 hat der kenianische Jurist und Aktivist Lumumba gesagt, dass die Europäer*innen es gutheißen, wenn Afrika gespalten bleibt, statt sich zu vereinen. Nur so lange können die Europäer profitieren.

Auf dem Klimagipfel in Kenia haben 20 Regierende mit einer Stimme eine Deklaration unterzeichnet, und das will was heißen. Aber es ist noch ein weiter Weg. Der Westen ist noch nicht so weit, zu sagen, Afrika muss mit am Tisch sitzen. Und so lange afrikanische Länder z.B. so hohe Zinsen an die Weltbank bezahlen müssen, haben sie keine Chance, überhaupt zu investieren, wie in mehr Klimaschutz, Klimaanpassung und nachhaltige Entwicklung.

Was wäre am Ende Ihre Forderung an die deutsche Politik - wo sich ja zur Zeit der Ton im Zusammenhang mit Asylpolitik durch die Bank extrem verschärft hat – gerade auch mit Blick auf die Klimakrise und unsere Verantwortung dafür?


Wir haben hier eine selektive Asylpolitik, das wurde besonders deutlich bei der Ukrainepolitik, als Schwarze Menschen aus Urkaine nicht nach Deutschland flüchten durften.

Die Menschenrechte hier sind über 70 Jahre alt. Doch inwiefern gelten sie für alle Menschen? Wenn nicht alle daran gebunden sind, darf man sie nicht als universell bezeichnen. Dass wir im 21. Jahrhundert Menschen im Meer sterben lassen, ist unerhört, und das sollte bei allen eine Empörung hervorrufen. Das hat nichts mit Zivilisation zu tun und darüber würde ich auch nicht verhandeln. Europa sollte einerseits die koloniale Vergangenheit akzeptieren und sich Gedanken darüber machen, inwiefern es von diesen Leuten abhängig ist, die es nicht will.

Europa könnte weniger Müll produzieren, indem es weniger konsumiert und mehr verteilt. Ein Lösungsansatz könnte vielleicht auch das Weiterdenken der Feministischen Außenpolitik sein. Wenn das, was formuliert ist, umgesetzt wird, nämlich die marginalisierten Gruppen in die Entscheidungsprozesse von Beginn an einzubeziehen, dann habe ich noch Hoffnung.

 

Sylvia Holzhäuer-Ruprecht arbeitet im Auftrag für das Land Baden-Württemberg und den Bund im Verein SIMAMA – STEH AUF e.V.. Sie möchte als Eine-Welt-Promotorin die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung voranbringen. Das Ziel ist unter Anderem: weniger Ungleichheit, Gendergerechtigkeit, weniger Armut, Hungerbekämpfung, Gesundheit für alle. Diese und noch weitere UN-Nachhaltigkeitziele sollen bis 2030 z.B. durch Globales Lernen als Teil der Bildung zur Nachhaltigkeit vorangebracht und in nachhaltiges Leben umgesetzt werden.

Shownotes

Eva Gutensohn ist Mitglied des südnordfunk-Redaktionsteam und Musikredakteurin bei Radio Dreyeckland.

Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen