Eine Schwarze Frau steht nackt in einem Türrahmen und blickt in die Kamera, Foto im Beyond-Magazin über afrikanische Fotograf*innen
Gladys | Foto: Manyatsa Monyamane, Beyond-Magazin

»Reflek­tier­te Foto­grafie überwindet Gren­zen«

Interview mit den Fotografinnen Juliane Herrmann und Marie Köhler

Wie setzen sich zeitgenössische Fotograf*innen aus Afrika und Europa mit einer gemeinsamen Geschichte, aber ganz unterschiedlichen Erinnerungen daran auseinander? Welche Bilder herrschen über das jeweils Andere vor? Antworten geben zehn afrikanische und westeuropäische Künstler*innen anhand von Fotografien, Collagen und kurzen Texten, die im Beyond-Magazin und in einer Ausstellung in Köln im August präsentiert werden. Beyond startete als gemeinschaftlich organisiertes Fotografie-Magazin. Die dritte Ausgabe möchte einen Raum für Begegnungen fernab von Klischees im (post)kolonialen Diskurs schaffen. Juliane Herrmann und Marie Köhler interessiert dabei vor allem die Frage, inwieweit Globalisierung und Kapitalismus einen Einfluss auf (post)koloniale Strukturen in Afrika und Europa haben.

Das Interview führte Rosaly Magg

06.08.2021
Veröffentlicht im iz3w-Heft 386
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

iz3w: Wie kam es zu diesem Projekt, zur Auswahl der Fotograf*innen und der Konzentration auf den afrikanischen Kontinent?

Juliane Herrmann: Das Magazin entstand 2016 aus einer Guerilla-Aktion, also aus einer Initiative von Fotograf*innen zur Selbstermächtigung. Nach zwei Jahren gab es die zweite Ausgabe. Darin ging es um zehn weibliche Positionen. Bei der dritten Ausgabe war schnell klar, dass wir eine Plattform für den Austausch zwischen europäischen und afrikanischen Künstler*innen bieten wollen.

Marie Köhler: Ich hatte lange das Gefühl, dass das Themenfeld (post)koloniale Gegenwart in der Öffentlichkeit nicht gewünscht war. Dennoch wollten wir uns dem Diskurs stellen. Mit dem Tod von George Floyd in den USA bekam das Thema plötzlich sehr viel Öffentlichkeit, was grundsätzlich sehr wichtig ist. Wir beschäftigen uns damit jedoch schon deutlich länger.

Fotografie verhandelt immer gesellschaftliche Ideen und Diskurse. Bei Beyond III liegt der Fokus auf Interdependenzen zwischen Globalisierung und Kapitalismus. Welche Fragestellungen verbinden die ausgewählten fotografischen Positionen?

JH: Alle Arbeiten haben einen humanistischen Ansatz. Wichtig war uns die persönliche Motivation und intensive Auseinandersetzung und Reflektion. Bei keiner Arbeit ging jemand irgendwohin, um die ,Anderen’ zu fotografieren, weil das so vermeintlich ‚einfach’ ist und gerade im Fotojournalismus häufig praktiziert wird.

MK: Ich hatte das Glück, vor ein paar Jahren mit dem kamerunischen Philosophen Achille Mbembe zusammenzusitzen. Damals sagte er: Was uns verbindet, ist dieselbe Geschichte, die wir alle teilen. Aber was uns trennt, sind die unterschiedlichen Erinnerungen daran. Im westlichen Kontext denken wir immer, dass Geschichte genauso gewesen ist, wie sie unsere Großväter und Urgroßväter aufgezeichnet haben. (Post)koloniale Geschichte hat aber ganz andere Dimensionen. Es ist wichtig, in Zukunft gemeinsam Geschichte zu schreiben. Das vereint alle Künstler*innen in unserem Projekt.

»Die Geschichte liegt wie ein Schatten über uns«

(Post-)Koloniale Fotografie hat immer mit Machtverhältnissen zwischen Fotografierenden und Fotografierten zu tun. Wie gehen die ausgewählten Künstler*innen damit um?

JH: Gerade in der Fotografie werden stereotype Bilder täglich reproduziert. Genau hier setzt Beyond an. Wir wollen neue, andere Bilder schaffen und Fotograf*innen zeigen, die sich selbst und solche Stereotype kritisch hinterfragen. In den Arbeiten unserer afrikanischen Kolleg*innen geht es vor allem darum, eine eigene Bildsprache zu entwickeln, wie beispielweise den Afrofuturismus.

MK: Wichtig ist es, sich mit Macht- und Opferstrukturen auseinanderzusetzen. Und dass die eine Seite sich nicht als Held*innen, die andere als Antiheld*innen inszeniert. Machtstrukturen führen auch zur Frage, warum wir als zwei weiße Frauen mit diesem Thema einen internationalen Diskurs anstoßen wollen. Es ist nicht die Aufgabe von Schwarzen Menschen, Weiße über Rassismus aufzuklären. Reflektion und Veränderung kann nur über den gemeinsamen Diskurs entstehen. Beide Seiten können viel voneinander lernen.

Apropos Reflexion: Welche Fallstricke seht ihr als weiße Fotografinnen im Fotografieren (post)kolonialer Lebenswirklichkeiten?

MK: Als ich 2013 für ein Fotoprojekt ins Operndorf von Christoph Schlingensief nach Burkina Faso gereist bin, habe ich mich entschieden, nicht selbst zu fotografieren. Ich fand es schwierig, dass westliche Journalist*innen und Wissenschaftler*innen Afrika abgebildet und somit unser Bild von diesem großen Kontinent verfestigt haben. Ich kam damals nach Burkina Faso, um gemeinsam mit Künstler*innen ein Projekt zu entwickeln, in dem Kinder selbst fotografieren. Nicht ich schaue, wie die Lebenswirklichkeit vor Ort aussieht. Auch acht Jahre und viele Reisen später habe ich aus diesem Grund niemals selbst fotografiert. Es gibt Fotograf*innen, die können das – auch in unserem Projekt. Aber ich nicht ... Nur reflektierte Fotografie überwindet Grenzen.

Stichwort »White Gaze«: Eine der ausgewählten Fotografinnen ist die Ostberlinerin Nora Hase, Tochter einer deutschen Mutter und eines simbabwischen Vaters. Wie gelingt es ihr, Stereotype auf beiden Seiten, also den weißen kolonialen Blick genauso wie den »Black Gaze« zu brechen?

MK: Nora Hase befindet sich auf einer Reise, ihre fotografischen Arbeiten verdeutlichen das ebenso wie ihre damit verbundenen Textarbeiten. Man erfährt einiges über ihren eigenen Denkprozess und ihre Auseinandersetzung mit sich selbst. Ich erinnere mich an den Moment, als Nora von einem Traum von sich als Heldin erzählte, bei dem sie morgens aufgewachte, in den Spiegel schaute und dachte: »Ich bin ja gar nicht weiß wie im Traum, sondern Schwarz!« In der Pubertät zu begreifen, ich bin nicht diejenige, von der ich träume, hat bei ihr eine große Auseinandersetzung ausgelöst. Das Dilemma mit der eigenen Hautfarbe und dem Blick von außen setzt Nora fotografisch und als Ausstellungsinstallationen sehr gut um.

Federico Clavarino erzählt in seiner Serie »Hereafter« Kolonialgeschichte anhand der Vergangenheit seiner eigenen Familie. Für ihn ist »Geschichte ein Geisterhaus«. Wie funktioniert seine sehr persönliche Bildsprache und wie setzt sich das Thema im Magazin fort?

JH: Es geht darum, dass man in der Gegenwart immer auch von der Geschichte beeinflusst und verfolgt wird. Die Geschichte liegt wie ein Schatten über uns. Dieses Element haben wir auch im Design des Magazins aufgenommen. Es gibt graue Flächen, sie sind die Schatten der verschiedenen Arbeiten, die sich gegenseitig überlagern. Alle beeinflussen und verändern sich gegenseitig. Geschichte ist nie fertig geschrieben.

Sehr bewegt hat mich die Bilderserie »Serithi« von Manyatsa Monyamane, die nackte Schwarze Frauen ins Zentrum rückt und so die Auslöschung von Schwarzen (Frauen-)Körpern in der Geschichte sichtbar macht, ohne sie zu sexualisieren. Das erinnert sehr an die Arbeit von Zanele Muholi, die ebenfalls zu Körperrepräsentation arbeitet. Sehen Sie eine Verbindung zwischen den zwei südafrikanischen Fotografinnen? Wie wird deren Arbeit in verschiedenen Ländern aufgenommen?

MK: In Südafrika ist eine kritischere Auseinandersetzung möglich. Im Vergleich mit anderen Ländern ist es für dortige Künstler*innen einfacher, sich mit solchen Themen wie Körperrepräsentation zu beschäftigen. Wenn ich an Fotografen im Kongo denke – ich kenne keine einzige Fotografin dort – wäre das überhaupt nicht machbar und hätte üble Folgen. Ich habe jahrelang miterleben müssen, wie vor allem das Gesäßteil einer Schwarzen Frau in der westlichen Welt immer wieder sexualisiert wird. Und deswegen freut mich Monyamanes Arbeit umso mehr, weil sie mit ihren beeindruckenden Fotos all unsere Klischees über den Körper der Schwarzen Frau widerlegt.

Auf ganz andere Weise arbeitet Puleng Mongale. Sie nimmt ihren Körper, beziehungsweise ihr Gesicht, und fügt sich in ihren Fotos mehrfach selbst in Collagen ein. Ist es Zufall oder liegt der Schwerpunkt dieser drei Fotografinnen auf feministischen Positionen?

MK: Bei Puleng Mongale sind es Selbstinszenierungen, keine Selbstporträts. Das heißt, sie präsentiert sich stellvertretend für andere Frauen. In diesem Sinne geht es tatsächlich um weibliche Rollenbilder.

JH: Sie hinterfragt damit auch ihr eigenes Erbe und ihre Herkunft. Ich würde die feministische Sichtweise bei beiden Arbeiten unterschreiben. Auch wir Kuratorinnen haben einen feministischen Hintergrund – ich selbst bin im Female Photoclub aktiv und habe die letzte Ausgabe der Beyond nur mit Fotografinnen erarbeitet. Deshalb war es uns ein Anliegen, die feministischen Akzente innerhalb dieses Diskurses der (post)kolonialen Gegenwart aufzuzeigen. Keine der ausgewählten Arbeiten bildet einfach nur ab, sondern alle hinterfragen kritisch.

Juliane Herrmann (Fotografin und Initiatorin von Beyond) und Marie Köhler (Fotografin und Medienkünstlerin) sind die Kuratorinnen und Organisatorinnen von Beyond III – [post]koloniale Gegenwart. Beide leben und arbeiten in Köln. Unter www.beyond-magazin.de gibt es weitere Infos zu den beteiligten Künstler*innen. Das Interview führte Rosaly Magg (iz3w).

 

Das Interview führte Rosaly Magg

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 386 Heft bestellen
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