Heritage Tourismus für alle

Hörbeitrag vom 5. Juli 2022 im südnordfunk # 98

Audiobeitrag von Antonia Vangelista

12.11.2022
Teil des Dossiers Dark Tourism

Über 300 Jahre lang wurden Millionen Menschen als Sklav*innen von Ghanas Küste aus über den Atlantik verschleppt. Viele Festungen, Schlösser und weitere touristische Orte zeugen heute davon. Doch an einigen Orten wird die Geschichte unvollständig erzählt, und Einwohner*innen der Orte werden nicht in den Tourismus eingebunden. Wie es besser geht, darüber sprach der südnordfunk mit Dorfvertretern, Touristenführerinnen und Wissenschaftlern.

Shownotes


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 5. Juli 2022 | Radio Dreyeckland | Autorin: Antonia Vangelista

2019 war ein besonderes Jahr: Ghana rief das Year of Return aus, das Jahr der Rückkehr, das sich vor allem an die afrikanische Diaspora richtete. Von den über eine Million internationalen Tourist*innen, die 2019 in Ghana waren, kamen die meisten aus den USA, gefolgt von Nigeria und Großbritannien. Für viele Afro-Amerikaner*innen ist der Besuch eine Rückkehr in die Heimat ihrer Vorfahr*innen, auch wenn es oft schwer ist, die genaue Herkunft der versklavten und verschleppten Menschen nachzuvollziehen.

Einer der touristischen Ziele ist das Dorf Assin Manso in der Central Region, im Landesinneren. Gemeinsam mit meinem Kommilitonen Francis Ashitey Okoe besuche ich den Ort und treffe dort Enninful Kingsley, genannt Gabi. Er ist ein Vertreter der Dorfgemeinschaft von Assin Manso, das vor etwa 400 Jahren ein Durchgangsort für versklavte Menschen aus ganz Westafrika war. Diese nahmen hier ihr letztes Bad, bevor sie auf die Sklavenfestungen an der Küste gebracht wurden – und dann auf die Schiffe Richtung Amerika.

Neben der Festung erinnern heute die Mimosen, die um den Fluss herum gepflanzt sind, an diese Zeit, erklärt uns Gabi: „Auf der Sprache Twi heißt diese Pflanze - entschuldige bitte – so etwas wie: Dame, schließ deine Beine. Der englische Name ist mimosa, Mimosenpflanze. Wenn wir sehen, dass sich die Mimose zusammenzieht, dann wissen wir, dass unsere Feinde in der Nähe sind. Denn normalerweise ist die Mimose offen. Aber wenn ein Feind kommt und sie berührt, zieht sich die Mimose zusammen.“

Der Ort, der die Tourist*innen anzieht, ist das Portal des ‚Last Bath‘, des letzten Bades. Wir halten inne und legen eine Schweigeminute ein, aus Respekt vor den Menschen, die damals versklavt wurden. Francis Ashitey Okoe erklärt die besondere Bedeutung des Ortes: „Wenn du von der nördlichen Region und anderen Städten bis zu diesem Ort gelaufen bist, warst du schwach. Aber nachdem du hier ein Bad genommen hast, hat dir das Kraft gegeben, um weiterzureisen. Der Fluss half den versklavten Menschen, ihre Reise fortzuführen. Deswegen steht dieser Fluss für Stärke und Heilung der Menschen.“ Enninful Kingsley fügt hinzu: „In der Sprache der Akan heißt der Fluss Donko Nsuo, das bedeutet heilender Fluss.“

»Der Fluss half den versklavten Menschen, ihre Reise fortzuführen.«

Er fließt hier mit einem andern Fluss zusammen, dem River Okyie. Dieser ist heute für die Nachfahr*innen der versklavten Menschen von Bedeutung, wie der Geschichtsstudent Francis Ashitey Okoe erzählt: „Die Besucher*innen sind natürlich nicht im engeren Sinne Rückkehrende, sondern Stellvertreter*innen, Nachfahren. Ihre Vorfahren waren Sklav*innen, sie selbst haben meist ihr ganzes Leben in den USA oder Europa verbracht. Genau wie ihre Vorfahren, wollen sie hier baden.  Allerdings im anderen Fluss: Wenn du hierher zurückkommst, bist du immer noch versklavt. So fühlen viele. Also musst du dich reinigen, es soll aber nicht das gleiche Wasser verwendet werden. Du musst im anderen Fluss baden um dich zu reinigen, du bist kein Sklave mehr. 2019 kamen sie in Massen zu diesem Ort, die Schwarzen und die Diaspora aus vielen verschiedenen Ländern.“

Ahnentourismus und Vermarktung des Erbes

Im Jahr 2020 brach der Tourismus in Ghana wegen der Corona Pandemie ein. Insgesamt jedoch üben die Gedenkorte des Sklavenhandels in Ghana eine große Anziehungskraft aus, auch auf Ghanaer*innen und weiße Besucher*innen, beispielsweise aus Europa. Sie besuchen die Festungen, ehemalige Sklavenmärkte und Flüsse, die von der Geschichte erzählen. Mark Seyram von der University of Ghana in Accra hat in seiner Doktorarbeit untersucht, wie einige der Festungen zunehmend als touristische Orte vermarktet werden. Was in diesen Festungen passiert ist, wird seinen Recherchen nach nur unvollständig erzählt:

„In allen drei Festungen fehlen leider einige Erzählungen. Die Geschichte der Festungen wird den Gästen nicht groß erklärt. Es gibt nicht mal eine Museumspädagogin oder so etwas. Also ist die Interpretation den Verwalter*innen und Hausmeistern überlassen. Sie sind keine professionellen Touristenführer*innen oder Pädagog*innen. Deswegen erzählen sie für gewöhnlich ein paar Geschichten über die Festung und ihren Beitrag zum transatlantischen Sklavenhandel, und manchmal zum generellen Handel in der Region. Also geht es in den Erzählungen vor allem um den Atlantischen Sklavenhandel, über das Verhältnis von Einheimischen und Festungen wird geschwiegen.“

Festungen und Schlösser sind Weltkulturerbe

Die ghanaische Regierung hat beschlossen, die Geschichte des Sklavenhandels für den Tourismus aufzubereiten. Doch viele Orte werden vernachlässigt. Obwohl über dreißig Festungen und Schlösser als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt sind, einige davon bereits seit 1979, besuchen die meisten Tourist*innen nur zwei: Cape Coast Castle und Elmina Castle. Diese beiden werden auch von Mark Seyram als positive Ausnahme hervorgehoben:

Das Schloss von Cape Coast gibt die vielschichtige Geschichte wieder. Da sind die Kerker und die Door of No Return, die Tür ohne Rückkehr. Es gibt die eigentliche Museumsgallerie, und das Museum zur Baugeschichte. In der Museumsgallerie gibt es Abschnitte, die über voreuropäischen Kontakt sprechen, und andere, die über den Kontakt mit den Europäer*innen und die Zeit danach sprechen, und auch über das Leben der Menschen in der Region heutzutage. All diese Aspekte der Geschichte werden gleichzeitig präsentiert, in den gleichen Räumlichkeiten. Das ist also sehr wohl möglich.“

»Über das Verhältnis von Einheimischen und Festungen wird geschwiegen.«

Eine weitere Schwachstelle dieser touristischen Orte ist, dass fast alle Einnahmen aus dem Tourismus direkt in die Taschen des Staates wandern, statt in die Kassen der einheimischen Bevölkerung: „Es gibt insgesamt nicht viel Profit. Es wäre aber wichtig, dass das Erbe auf die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung eingeht. Die lokale Bevölkerung muss davon profitieren, wenn dieses Kulturerbe Einkommen generiert. Sie sind die Eigentümer*innen. Es ist unser Land. Das Land, auf dem diese Festungen stehen, gehört ihnen. Deswegen müssen sie von dem profitieren, was reinkommt.“

Wer profitiert?

So sieht es auch Gabi aus Assin Manso: „Wir, die Einheimischen in diese Gemeinschaft, schätzen es, dass wir eine touristische Sehenswürdigkeit haben. Aber es gibt nicht so viele Vorteile für die Gemeinschaft. Dieser Ort, der an die Befreiung von Sklaverei und Kolonialzeit erinnert, wurde 1998 aufgebaut. Das ist jetzt 25 Jahre her. Ich denke, die Tourismusbehörde von Ghana hätte mit dem Ältestenrat von Assin Manso zusammenarbeiten sollen, um gute Ideen zu entwickeln. So könnte sich Assin Manso entwickeln, durch den Tourismus, den es hier gibt. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir eine Universität hätten. Oder nicht mal eine Universität, sondern eine einfache Schule, in der die Geschichte von Ghana und Assin Manso gelehrt wird. Dann könnten alle diese Schule besuchen, nicht nur die Kinder. Wir könnten viel über die Geschichte von Assin Manso lernen und der Gemeinschaft helfen.“

Die Dorfbewohner*innen könnten also beispielsweise als Touristenführer*innen ausgebildet werden, und so von den geschichtsträchtigen Orten in ihrer Nachbarschaft profitieren. Francisca Nuom ist eine Touristenführerin im Schloss von Cape Coast. Sie kommt selbst aus Cape Coast und hat dort studiert. Sie sagt, dass die Geschichte der Sklaverei erzählt werden muss, um die Menschheit besser zu verstehen und zu verhindern, dass sich Menschen je wieder gegenseitig ausbeuten:

„Die Geschichte ist eine Lehrerin. Denn du lernst etwas über deine Vergangenheit. Und wenn ich meine Vergangenheit kenne, was mache ich damit? Was habe ich in der Vergangenheit getan, was zu dem führt, was in der Gegenwart passiert? Also wenn wir von der Vergangenheit lernen, können wir die Zukunft besser einschätzen.“

Erstausstrahlung südnordfunk # 98 am 5. Juli 2022

Die Journalistin Antonia Vangelista hat für die Radioreportage vor Ort recherchiert.

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