Klimakrise: eine Fluchtursache?!

Aspekte einer poli­tischen und recht­lichen Aner­kennung

Audiobeitrag von Annalena Eble und Charlie Muth

05.07.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

Die Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen. Extremwetterereignisse und Katastrophen, Überschwemmungen und Dürren häufen sich. Darüber, wie das mit Migration und Flucht zusammenhängt, wird jedoch politisch und wissenschaftlich gestritten. Außerdem besteht keine internationale rechtliche Regelung, auf die sich Betroffene stützen könnten. Über Betroffenheiten klimabedingter Migration, die rechtlichen Schutzlücken und politische Perspektiven sprach der südnordfunk mit dem irakischen Journalisten Garib Hasu, mit Annika Mannah vom Bildungsprojekt KlimaGesichter und mit dem Migrationsforscher Benjamin Schraven.


Shownotes zu Klimaflucht

  • Im Bildungsprojekt KlimaGesichter informieren Geflüchtete über Klimafolgen in ihren Herkunftsländern.
  • Die Groundswell-Studie der Weltbank (2021) kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimakrise bis Mitte des Jahrhunderts 216 Millionen Menschen dazu zwingen wird, innerhalb ihres Landes zu migrieren.
  • Das diesjährige No Borders Klimacamp (3.-13.August in Basel) steht für Klimagerechtigkeit und Bewegungsfreiheit für alle.
  • Die Organisation Climate Refugees veröffenlicht regelmäßig Spotlights auf klimabedingte Vertreibung und analysiert Studien und Publikationen rund um Klimaflucht.
  • Die Platform on Disaster Displacement ist eine von Staaten geleitete Initiative, die sich für einen besseren Schutz von Menschen einsetzt, die im Zusammenhang mit Katastrophen und dem Klimawandel fliehen.

Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 4. Juli 2023 im südnordfunk # 110

Aktivist*in: Naturkatastrophen dürfen als Fluchtursache nicht vergessen werden, was gerade aber viel zu oft passiert. Auch deuten einige Publikationen klar darauf hin, dass Ressourcenknappheit, Hungersnöte, Extremwetterkatastrophen Konflikte und sogar Kriege begünstigen. Damit hängt die Fluchtursache der ökologischen Krisen auch eng mit einer Vielzahl anderer Fluchtursachen zusammen. Ehrlich gesagt frage ich mich da, wie es sein kann, dass dieses Thema kaum Einzug in politische Diskussionen hält. Stattdessen werden Menschen und die Natur weiter ausgebeutet, ohne sich Gedanken über zukünftige Folgen zu machen. Die Länder des Globalen Nordens tragen also die Hauptschuld und damit die Hauptverantwortung an der Klimakatastrophe, sind aber – Stand jetzt – nicht fähig dazu, ein ordentliches Konzept zu erarbeiten. Zudem erkennt die Genfer Flüchtlingskonvention ökologische Folgen noch immer nicht als Fluchtgrund an. Europa steht also mit in der Verantwortung und muss diese Verantwortung endlich übernehmen.

Sprecher*in: Das war eine Rede der Students for Future, auf einer Kundgebung zum Weltflüchtlingstag am 20.06. in Freiburg. Der Zusammenhang scheint klar: Die Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen – ob plötzlich oder schleichend – und Menschen sind gezwungen zu flüchten oder zu migrieren. Doch der Begriff Klimaflucht ist politisch, wie auch wissenschaftlich umstritten. Und ein internationales rechtliches Rahmenwerk zum Schutz von Betroffenen gibt es nicht – warum? Im Mai führte der südnordfunk ein Interview mit dem Migrationsforscher Benjamin Schraven, sowie mit Annikah Mannah und Garib Hasu vom Projekt KlimaGesichter der Deutschen Klimastiftung und des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen. Der Journalist Garib Hasu erklärt den Zusammenhang von Klimakrise und Migration für das Beispiel Irak so:

Garib Hasu: Ich bin im Irak aufgewachsen und da ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten leider eine klare Tendenz zu erkennen, dass Dürren und Wirbelstürme immer wieder dafür sorgen, dass Landwirt*innen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können, weil der Boden unfruchtbar wird. Und das löst wiederum Migrationsbewegungen aus, weil viele Menschen dann in die Ballungsräume ziehen, weil sie auf dem Land nicht mehr überleben können.

Was ich bei der klimabedingten Migration besonderes bedaure: Die meisten, die davon betroffen sind, gehören zu den sozial schwächeren Gruppen einer Gesellschaft. Es gibt drei Kategorien wonach gemessen wird, wann Menschen wie weit fliehen können, um zu überleben: soziale, finanzielle und physische Voraussetzungen. Und diejenigen, die besonders betroffen sind, können dann auch nicht so weit weg. Im Irak zum Beispiel ist es oft so, dass sie die Ballungsräume suchen, Bagdad oder Basra oder im Norden Erbil oder Kirkuk. Dann entstehen an den Rändern der großen Städte immer mehr Slums.

Sprecher*in: Ein weiteres Beispiel für Menschen, die aufgrund von klimabedingten Veränderungen und Extremwetterereignissen flüchten müssen, schildert Annika Mannah:

Annika Mannah: Tatsächlich bin ich vor anderthalb Jahren in ganz direkten Kontakt mit einem Beispiel gekommen. Ich war im Oktober 2020 im Flüchtlingscamp Vathy auf der griechischen Insel Samos. Das war zu der Zeit, als damals in Moria der große Brand passierte. Und wir als Deutsche Klima Stiftung haben uns direkt danach gefragt, wie viele Menschen eigentlich auch betroffen sind, die aufgrund von Extremwetterereignissen fliehen mussten und die jetzt in solch einem Flüchtlingscamp festsitzen.

»Bei dieser Über­flutung ist ihnen alles ge­nommen worden, was ihnen lieb und teuer ist«

Tatsächlich haben wir ganz schnell ein kleines Filmteam organisiert und sind dann zu viert in dieses Flüchtlingscamp nach Griechenland gereist. Dabei ist uns eine junge Familie aus Sierra Leone quasi über den Weg gelaufen, Achasu mit ihrem Mann und mit ihrem sechs Monate alten Baby. Sie sind damals aufgrund eines Hurrikans geflüchtet, der 2010 Freetown zerstört hat. Und tatsächlich ist ihnen in dieser Überflutung, Überschwemmung, in diesem Wahnsinnsnaturereignis, alles genommen worden, was ihnen lieb und teuer ist. Ihre Familie kam um, ihr Hab und Gut wurde zerstört, ihre Ländereien waren überschwemmt, sie hatten also überhaupt keine Existenzgrundlage mehr. Das war der Auslöser für die schwere Entscheidung, sich auf die Flucht zu machen. Die beiden waren damals noch nicht verheiratet, heirateten dann während der Flucht und sie wurde schwanger. Daran sieht man, wie lange so ein Prozess des Gehens dauern kann.

Das ist für mich eines der tatsächlich eindrücklichsten Beispiele gewesen damals: Eine direkte Überschwemmung, ein Zyklon, der Hurrikan, der damals Freetown überrascht hat, ist ein direkter Auslöser, um sich auf den Weg machen zu müssen.

Sprecher*in: Der Zusammenhang von Klimakrise und Migration beziehungsweise Flucht ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Gerade aber in der Migrationsforschung ist dieser Zusammenhang und daher auch der Begriff der Klimaflucht hochumstritten. So sagte der Migrationsforscher Benjamin Schraven 2019 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: »Hände weg vom Begriff Klimaflüchtling«. Ich habe ihn gefragt, warum.

Benjamin Schraven: Dieser Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration beziehungsweise auch Klimawandel und Flucht ist ein sehr komplizierter. Wir können gar nicht so oft sagen, dass der Klimawandel bei Fluchtprozessen oder Migrationsprozessen der entscheidende Faktor war, weil diese von mehreren Faktoren geprägt sind – selbst in ökologisch sehr vulnerablen Gegenden und Ländern. Das heißt, es gibt natürlich den Faktor Klimawandel. Es gibt daneben aber auch politische, soziale und natürlich auch ökonomische Faktoren; Konflikte, die eben auf diese Prozesse einwirken. Die Frage der sogenannten Attribution *von Klimawandel hin zu Flucht oder Migration ist ein sehr schwieriger Prozess. Aber, ich muss auch zugeben: »Hände weg vom Begriff Klimaflüchtling«, das sehe ich mittlerweile auch etwas relativer. Weil es bei all diesen technischen Aspekten schwierig ist, dabei bleibe ich auch. Und es gibt keine rechtliche, keine wissenschaftliche und auch keine politische Definition dieses Begriffes »Klimaflüchtling«, das mal vorweg gestellt.

»Hände weg vom Begriff Klima­flüchtling, das sehe ich mittler­weile relativer«

Ich sehe das Ganze auch unter dem Aspekt der Klimagerechtigkeit oder globaler Gerechtigkeit: Der Klimawandel wurde ja in erster Linie von den Staaten des Globalen Nordens verursacht. Da müssen wir sehen, dass diese historische Verantwortung sich natürlich auch in einer Beeinflussung von Flucht und Migration widerspiegelt, vor allem im Globalen Süden. Von daher sehe ich das mittlerweile doch etwas entspannter mit dieser Begrifflichkeit. Denn wenn wir sagen ›Klimaflüchtling, dieser Begriff ist abzulehnen‹, dann ist es schwierig: Diese ganzen Fragen von Klimagerechtigkeit oder weitergehend globaler Gerechtigkeit sind dann natürlich immer so ein bisschen außen vor – und diese Problematik sehe ich durchaus.

Sprecher*in: Auch auf rechtlicher Ebene wird oft von einer Schutzlücke für Betroffene klimabedingter Migration gesprochen. Worin besteht diese genau?

Benjamin Schraven: Es fängt damit an, dass das internationale Flüchtlingsregime, basierend vor allem auf der Genfer Flüchtlingskonvention, den Faktor Klimawandel oder Umweltfaktoren allgemeiner gar nicht kennt, um jemanden, der aufgrund dessen flüchten muss, einen Schutztitel zu gewähren.

Das Ganze ist natürlich ein Produkt des Zweiten Weltkrieges, der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands und der Verfolgung, die während und auch vor dem Zweiten Weltkrieg passiert ist. Dementsprechend basiert die Genfer Flüchtlingskonvention vor allem auf dem Konzept der Verfolgung. Und hier wäre es allein schon absurd sich vorzustellen, den Klimawandel rechtlich als einen Verfolger zu interpretieren. Das heißt, da allein ist schon eine Schutzlücke da. Es gibt in anderen rechtlichen Konventionen, sei es den Menschenrechten, sei es in anderen Rechtsbereichen, natürlich auch Anknüpfungspunkte, wo man sagen könnte, hier könnte es greifen. Aber letztendlich sind das alles sogenannte Soft-Law-Instrumente*, die es den Betroffenen in den Fällen, in denen sie sich befinden, dann wenig weiterhilft.

Ob sich das irgendwann mal ändern wird? Das ist sehr fraglich. Ob man jetzt zum Beispiel den Faktor Klimawandel in die Genfer Flüchtlingskonvention hineinverhandeln kann, oder ob es mal eine spezielle Konvention für Geflüchtete geben kann, die sich im Kontext des Klimawandels bewegen. Auch das ist sehr fraglich, weil der politische Wille gerade der Staaten des Globalen Nordens sehr gering ist.

Sprecher*in: Viele befürchten, dass der Schutz für Geflüchtete generell weiter verwässert oder in Frage gestellt werden könnte. Sollte man versuchen, die Genfer Flüchtlingskonvention um den Faktor Klima zu erweitern. Wie sehen Sie das?

Benjamin Schraven: Das wäre in der Tat eines der Probleme – wenn überhaupt etwas bei so einem Prozess herumkommen würde: dass am Ende die Konvention als ganze noch weiter geschwächt werden würde, als sie ohnehin schon geschwächt ist. Also ich sehe das nicht als wirklich erfolgsversprechende Wege, um den Schutz von Betroffenen in irgendeiner Weise zu erhöhen.

Sprecher*in: Während auf politischer und juristischer Ebene also über Definitionen diskutiert wird, ist Flucht und Migration aufgrund von ökologischen Krisen oder Naturkatastrophen für viele Menschen Realität. Ob die Klimakrise nun ein dominanter oder ein nebensächlicher Faktor ist, macht für die Betroffenen wohl kaum einen Unterschied. Mich interessiert, wie mit dem Thema in der Bildungsarbeit umgegangen wird. Ich frage Annika Mannah, vor welchem Hintergrund sie die Begriffe »Klimaflucht« und »Klimageflüchtete« in ihrer Arbeit nutzt.

Annika Mannah: Tatsächlich wollen wir als Deutsche KlimaStiftung* mit dem Auftrag der Bildungsarbeit ja genau diese Debatte auch anstoßen und vielleicht auch befeuern. Denn uns ist es mit dem Projekt KlimaGesichter ein großes Anliegen, das Thema auch auf eine politische Ebenen zu heben. Ich habe letztes Jahr an einer Journalist*innen-Konferenz mit der UNO-Flüchtlingshilfe und dem UNHCR teilgenommen. Dabei ist mir genau diese Debatte noch mal ganz deutlich geworden, dass die Abgrenzung der Begriffe gar nicht so eingehalten werden kann. Die Genfer Flüchtlingskonvention hat einen ganz anderen Flüchtlings-Begriff als den, den wir in der Klimamigration verwenden. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, unsere Ausstellung dennoch Klima-Flucht-Ausstellung zu nennen. Denn es geht um Klima und es geht um Flucht. Und es ist einfach eine sehr deutliche Ansprache des Themas.

Also, ja wir sind uns durchaus bewusst, dass der Begriff Klimaflucht rechtlich und wissenschaftlich umstritten ist. Aber dennoch betitelt er eigentlich sehr eindeutig das, was wir transportieren wollen, was wir vermitteln wollen. Deswegen nehmen wir das als Grundlage, um in die Diskussion zu gehen. Und er ist einfach auch für viele sehr leicht verständlich.

Sprecher*in: In den letzten Jahren gab es einige Versuche, die Klimakrise als Flucht und Migrationsgrund stärker in internationalen Abkommen zu berücksichtigen. So zum Beispiel im UN-Migrationspakt von 2018. Der Migrationspakt geht explizit auf die Bedeutung von Klimafolgen ein und bildet den ersten internationalen Pakt, der einen Klimazusammenhang in der Migrationspolitik verankert. Allerdings ist das Abkommen eine Absichtserklärung und hat keine rechtliche Verbindlichkeit. Wie sind solche Abkommen dann zu bewerten, frage ich Benjamin Schraven:

Benjamin Schraven: Da kann man natürlich, wenn man sich das ansieht, leicht zu dem Schluss kommen: Naja, das ist ja auch alles heiße Luft, das sind warme Worte und nichts Rechtsverbindliches. Aber ich sehe durchaus auch Erfolge. Es gibt zum einen die Arbeit der Plattform on Disaster Displacement, die aufgrund der Prämisse, dass es sehr schwierig ist auf globaler Ebene rechtsverbindlich etwas zu etablieren, gesagt hat: Wir schauen uns eher die betroffenen Regionen und Länder an und versuchen auf dieser Ebene etwas für die betroffenen Menschen zu erreichen. Da passiert durchaus einiges. Auf dieser regionalen Ebene – also regional heißt in dem Fall zum Beispiel Westafrika, Ostafrika, Südasien und so weiter – passiert doch mehr, und es ist durchaus auch erfolgsversprechender als den globalen großen Wurf zu landen. Weil es da dann natürlich auch immer wieder gewisse Konstellationen gibt, lokale »Coalitions of the Willing«, wenn man so will.

»Die vielleicht schwerwie­gendere Wirkung des Klima­wandels ist das Gegen­teil von Mobilität: Immobilität«

Sprecher*in: Binnenflucht und -migration nimmt im Kontext der Klimakrise eine große Rolle ein. Viel mehr Menschen migrieren innerhalb eines Landes oder einer Region, als über ganze Kontinente hinweg, geschweige denn, nach Europa. Auch, weil die meisten gar nicht die Ressourcen haben, einen weiteren Weg auf sich zu nehmen. Welche Beispiele gibt es für regionale Migrationsabkommen, die die Klimakrise als Faktor stärker einbeziehen und Betroffene besser schützen können?

Benjamin Schraven: Es gibt neuerdings auch bei der Intergovernmental Authority on Development (eine ostafrikanische Regionalorganisation) die Absicht, ein Freizügigkeitsabkommen zu etablieren, wo dann auf die Bedürfnisse von Menschen Rücksicht genommen wird, die in diesem Kontext von Klimawandel oder Katastrophen fliehen müssen. Das ist noch ein weiter Weg, sozusagen von der politischen Absichtserklärung hin zu einem funktionierenden Freizügigkeits-Regime, aber allein das staatliche Zusammenfinden und Beschließen ist schon etwas. Schauen wir in eine andere Region, nach Westafrika. Hier gibt es beretis seit langem diese Freizügigkeitszone der ECOWAS, des westafrikanischen Staatenbundes, der westafrikanischen Regionalorganisationen. Es bewegt sich schon etwas, es sind nicht nur reine Dialog-Veranstaltungen. Es gilt jetzt aber, diese Regionalorganisationen vonseiten des Globalen Nordens dabei zu unterstützen, dass diese Dinge auch entsprechend implementiert werden können.

Sprecher*in: Im Globalen Norden oder Europa allerdings wird in den Debatten über Klimaflucht gerade von rechtspopulistischen Akteuren versucht, den Akzent auf schärfere Migrationspolitik zu lenken, auch weg vom Klimaschutz. Prognosen darüber, wie viele Menschen von klimabedingter Migration betroffen sein werden, die eigentlich den dringenden Handlungsbedarf aufzeigen sollen, werden zu Drohszenarien umgedeutet. Wie kann vor diesem Hintergrund über Klimaflucht gesprochen werden, um etwas für die Betroffene zu erreichen? Das beantwortet Annika Mannah:

Annika Mannah: Geschichten, Biografien und Erlebnisse von betroffenen Menschen erzählen am eindrücklichsten, was es bedeutet, sein Heimatland verlassen zu müssen. Dabeu muss man immer im Kopf behalten, dass kein Mensch freiwillig geht, niemand verlässt seine Heimat gerne. Wir reden über Menschen, die wirklich keine Lebensgrundlage mehr haben, weil Extremwetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen, Starkniederschlag und so weiter es einfach nicht mehr möglich machen, in einer Region zu leben. Und betroffen ist nach der Groundswell-Studie der Weltbank vor allem Subsahara-Afrika. Dort sehen wir aktuell wahnsinnig viele Auswirkungen und werden noch viele sehen, gefolgt von Südasien und Lateinamerika. Das sind Millionen von Menschen, die sich dort auf den Weg machen, jetzt schon und in Zukunft auch noch machen werden.

Wir sind davon überzeugt, dass über den Ansatz der Authentizität und vielleicht auch Betroffenheit das Thema so kommuniziert werden kann, dass es zu Handlungen führt, also zu einem Empowerment. Das machen wir über unser KlimaGesichter-Referierenden, die Beispiele aus ihren Herkunftsländern bringen. Vielleicht nicht immer, weil sie es selbst so eins-zu-eins direkt erlebt haben, die aber auf jeden Fall über ihr Land berichten können und wissen, was der Klimawandel dort aktuell anrichtet und Beispiele erzählen können, die das noch einmal verdeutlichen, was etwa im Irak gerade passiert, was der Klimawandel dort anrichtet.

Sprecher*in: Abgesehen von den vielen Menschen, die im Kontext der Klimakrise fliehen oder migrieren müssen, betont Benjamin Schraven noch eine weitere Dimension dieser Krise, die in Europa wenig Beachtung findet:

Benjamin Schraven: Die vielleicht noch viel schwerwiegendere Wirkung des Klimawandels ist ja genau das Gegenteil von Mobilität. Das ist Immobilität. Viele Menschen haben gar nicht die Möglichkeiten irgendwo hin zu migrieren, weder nach Europa, noch in die nächstgelegene Stadt. Das sind eben die Menschen, die am härtesten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Also viel härter vielleicht als Menschen, die dann noch mobil sind. Beziehungsweise: Der Klimawandel raubt ihnen ja auch die Ressourcen, um mobil sein zu können.

Sprecher*in: Das bringt uns zu dem Thema, dass der Debatte um Klimaflucht eigentlich hauptsächlich zugrundeliegt. Nämlich Fragen der Klimagerechtigkeit. Ich frage Garib Hasu, was Klimagerechtigkeit in diesem Kontext für ihn bedeutet und welche Rolle er als Journalist bei den Medien sieht.

»Die ima­ginären Grenzen der Länder sieht der Klima­wandel nicht«

Garib Hasu: Klimagerechtigkeit – der Begriff sagt ja eigentlich schon, dass man gerecht mit dem Klima umgehen sollte, bezogen auf die Verteilung von Chancen als auch Lasten. Und wenn wir eine starke Unverhältnismäßigkeit sehen - weil der Globale Norden sehr viel konsumiert und auch überkonsumiert – und die direkten Leidtragenden der Globale Süden ist, dann gehört es für mich zur Klimagerechtigkeit, die Lasten mitzutragen. Wenn ich das metaphorisch sagen würde, dann so: Wenn man sich an einem Apfelbaum bedient, dann wäre es glaube ich gerecht, sich bei der Bewässerung stärker zu beteiligen.

Grundsätzlich sehe ich eine große Verantwortung im Journalismus, das Thema mehr zu zeigen und darauf aufmerksam zu machen. Nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern so etwas wie eine globale Sicht zu gewinnen, langfristig. Weil am Ende sind wir hier alle auf derselben Erde. Und die imaginären Grenzen der Länder, die sieht der Klimawandel nicht.

Sprecher*in: Am 8. Juni einigten sich die EU-Innenminister*innen auf eine Verschärfung des europäischen Asylsystems. Diese sieht Haftzentren an den EU-Außengrenzen vor und ermöglicht schnellere Abschiebungen in außereuropäische sogenannte sichere Drittstaaten, unabhängig davon, ob dort in Landesteilen Krieg herrscht oder ob die Länder die Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt haben. Eine EU-Migrationspolitik, die auf Solidarität und globaler Gerechtigkeit gründet, scheint in immer weitere Ferne zu rücken.

Den Beitrag erstellte Annalena Eble. Charlie Muth studiert Soziologie.

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