Eine große Museumsvitrine entgält eng gestellt Masken und Kulturgegenstände aus Ozeanien
Nachgestellte Ozeanienvitrine von 1911 in der Ausstellung »Freiburg und Kolonialismus« im Augustinermuseum | Foto: Annalena Eble

Alles sensibel?

Zwei Ausstellungen beschäftigen sich mit Freiburgs kolonialem Erbe

Was hat Freiburg mit dem Kolonialismus zu tun? Und wie ist mit ethnologischen Sammlungen, die im Unrechtskontext des Kolonialismus entstanden sind, umzugehen? Diese Fragen behandeln die Sonderausstellungen »Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!« im Augustinermuseum sowie »Handle with Care – Sensible Objekte der ethnologischen Sammlung« im Museum Natur und Mensch. Ein Rundgang.

von Annalena Eble

19.01.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 394
Teil des Dossiers Restitution

»Wir fordern koloniale Gleichberechtigung!« Dieser Schriftzug schmückte die städtische Festhalle in Freiburg, in der im Juni 1935 die »Große Deutsche Kolonialausstellung« stattfand. Zwischen 22.000 und 25.000 Menschen besuchten die Ausstellung von tausenden Alltags- und Kunstgegenständen sowie Kulturgütern aus den ehemaligen Kolonien. Diese Ausstellung und die zugehörige Kolonialtagung im selben Jahr sind nur ein Beispiel für die Verankerung kolonialrevisionistischen Denkens zu Zeiten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus in Freiburg.

Auf diese kolonialen Verstrickungen der Stadt machen zivilgesellschaftliche Initiativen wie freiburg-postkolonial seit über 15 Jahren aufmerksam. Allerdings haben sich die Stadt, sowie die Universität und das ethnologische Museum lange vor der Aufarbeitung ihres kolonialen Erbes gedrückt. Die dekolonialen und antirassistischen Debatten der letzten Jahre führen nun allmählich zu einem Umdenken. So auch bei den städtischen Museen Freiburgs: Seit einem knappen halben Jahr läuft die Sonderausstellung »Freiburg und Kolonialismus« im Augustinermuseum (bis Juni 2023), in der auch Bilder der Kolonialtagung zu sehen sind. Ergänzend ist im ethnologischen Museum (Museum Natur und Mensch) bis Ende Januar 2023 die Ausstellung »Handle with Care« zu sehen.

Von Vergangenheit bis Gegenwart

Im Augustinermuseum geht es um die Geschichte Freiburgs in Verbindung mit dem Kolonialismus bis in die Gegenwart. Die Ausstellung ist in sieben Kapitel gegliedert. Zu Beginn steht ein Zeitstrahl, der einzelne Ereignisse und Entwicklungen im Kontext des Kolonialismus auf europäischer, deutscher und städtischer Ebene abwechselnd herausgreift. Hier kann man beispielsweise erfahren, dass die Schwarzwaldregion schon im 17. Jahrhundert vom Kolonialismus profitierte: Das Schwarzwälder Holz wurde für den Schiffbau verwendet, der dem Transport versklavter Menschen und Kolonialwaren diente – ein damals bedeutendes Geschäft für die Region. Die weiteren fünf Bereiche setzen sich mit den Grundpfeilern kolonialer Herrschaft auseinander: »Mission und Widerstand«, »Expansion und Krieg«, »Konsum und Ausbeutung«, »Wissenschaft und Aneignung«, sowie »Propaganda und Popularisierung«. Im siebten Teil folgt mit »Let’s decolonize our world« ein Aufruf zum Einsatz gegen die Folgen des Kolonialismus. Die Ausstellungselemente reichen von partizipativen Teilen, wie dem kolonialen Supermarkt oder einem Sprachquiz zu rassistischen Begriffen, über die Ausstellung von Zeitdokumenten, Fotografien, Objekten aus den ehemaligen Kolonien, bis hin zu einem Gedenkort an den Genozid an den Ovaherero und Nama 1904. Außerdem werden alltägliche Beispiele kolonialer Kontinuitäten, wie die bis vor kurzem betriebene »Dschungel-Floßfahrt« im Europa-Park, aufgegriffen.

Die Schwarzwaldregion profitierte schon im 17. Jahrhundert vom Kolonialismus

Die von der Ethnologin Beatrix Hoffmann-Ihde kuratierte Ausstellung will viel und richtet sich gleichzeitig an ein Publikum mit wenig Vorkenntnissen. Die breite thematische Spanne kollidiert mit den verhältnismäßig kleinen Räumlichkeiten und lässt die Besucher*in manchmal etwas ratlos zwischen den dicht gedrängten Themenbereichen zurück. Mehr roter Faden wäre hier hilfreich gewesen. Außerdem hat das zur Folge, dass einige Aspekte, die zu einem vertieften Verständnis der Verankerung des Kolonialismus in Freiburg beitragen könnten, nur oberflächlich aufgegriffen werden.

Daneben versucht die Ausstellung über sogenannte Blank Spaces die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen zu integrieren. Das geschieht beispielsweise über die Ausstellung ehemaliger Alltagsgegenstände der Ovaherero und Nama, die in Zusammenarbeit mit Vertreter*innen aus Namibia ausgesucht wurden. Diese Objekte lassen allerdings, ähnlich wie die anderen sechs »Spaces«, eine Einbettung in den Kontext der jeweiligen Ausstellungsteile vermissen und wirken wie nachträglich eingeschoben. Die Beiträge der Initiativen verlieren so an kritischem Wert. Diese Repräsentation ist vor allem für lokale Initiativen schade, schließlich ist ihnen ein Großteil der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit in Freiburg zu verdanken. Das wirft die Frage auf, inwieweit die Gruppen in die grundlegende Konzeption eingebunden wurden und wie viel Mitspracherecht ihnen eingeräumt wurde.

Zwischen Dekonstruktion und Reproduktion

Ausschlaggebend für eine Kolonialismus-Ausstellung ist außerdem, wie diese mit den Objekten umgeht, die im Gewaltkontext des Kolonialismus in den europäischen Museen gelandet sind. Dazu wird auf die »intensive Recherche der Sammlungsgeschichte« verwiesen. Die »sensiblen Objekte« der Ausstellung, also Fotografien oder Gegenstände von »Menschen, die unmittelbar der unmenschlichen Gewalt der kolonialen Macht ausgeliefert waren«, sind mit Sichtblenden geschützt. Die Besucher*innen sollen sich aktiv entscheiden, die Objekte anzusehen und den eigenen Blick hinterfragen. Dies ist an manchen Stellen jedoch inkonsistent umgesetzt, etwa, wenn eine Abbildung von Völkerschauen unter dem Visor landet, an der gegenüberliegenden Wand aber offen viel Raum einnimmt.

Der Versuch, viele kritische Ideen und Ansätze zu integrieren, steht im scharfen Gegensatz zu der Präsentation kolonialer Objekte. Diese werden häufig kontextlos zur Schau gestellt, wie beispielsweise in einer großen Vitrine im Bereich »Wissenschaft und Aneignung«. Zahlreiche Masken, Figuren, Alltagsgegenstände und ausgestopfte Tiere aus Ozeanien, Asien und Afrika sind hier versammelt. Die Vitrine soll die koloniale Sammelwut darstellen, den Drang nach dem Besitzen ,fremder’ Kulturen und die Verstrickungen des Museums für Natur und Völkerkunde, sowie der Universität Freiburg. In einer Museumsführung kann man erfahren, dass der Glaskasten die Ausstellungspraxis um 1900 darstellen soll. Ohne Führung lässt sich das jedoch nicht erahnen. Die eigentlich gute Idee scheitert an der Umsetzung.

Generell stellt sich die Frage, ob man den kolonialen Blick mit dem solche Objekte ,gesammelt‘, erforscht und ausgestellt wurden, zeigen kann, ohne ihn selbst zu reproduzieren. Das Hinterfragen dieses kolonialen Blicks und dem der Besucher*innen wäre eigentlich zentral: Die Art der Repräsentation der Objekte im Museum Natur und Mensch (früher: Natur und Völkerkunde) und anderen ethnologischen Museen hat über hundert Jahre koloniales Denken produziert und reproduziert. Neben den gängigen Ausstellungen seit seiner Gründung 1895 steuerte das Museum bei der erwähnten »Großen Deutschen Kolonialausstellung« in Freiburg viele Objekte der eigenen Sammlung bei. Müsste in einer Ausstellung über Kolonialismus in Freiburg also nicht das ethnologische Museum selbst ausgestellt werden? (iz3w 391) Stattdessen wird auf der Infotafel betont, dass das Museum sich heute kritisch mit dem eigenen Erbe auseinandersetzt und Provenienzforschung betreibt.

Erst am Anfang

In der Sonderausstellung des ethnologischen Museums selbst sieht der Umgang mit den Objekten anders aus. In »Handle with Care«, geht es um die Frage, welche Objekte der Sammlung ,sensibel‘ sind und warum. Auf den Infotafeln werden vor allem kritische Fragen formuliert: Wie soll mit Objekten umgegangen werden, deren Erwerbsumstände unbekannt sind? Oder mit jenen, die im Kontext von Gewalt angeeignet wurden? In den Schaukästen wird durch verschiedene visuelle Effekte, wie beispielsweise Schleier, versucht, den direkten Blick der Betrachter*innen auf die Objekte zu unterbrechen. Ihre problematischen Erwerbsumstände sind prominenter in den Vordergrund gerückt, außerdem verweisen Warnschilder auf den Kontext des Erwerbs, auf Unrecht oder Gewalt. Das sind wichtige Ansätze. Doch dass diese Art des Umgangs und der Aufarbeitung erst am Anfang steht, zeigt sich besonders eindrücklich am Ende der Ausstellung. Die Besucher*innen blicken auf den »Setzkasten des Lebens«, eine Wand voller Ausstellungsstücke aus aller Welt. Diese gehört nicht zur Sonderausstellung, dennoch irritiert, dass hier die Erwerbsumstände und Darstellungsweisen plötzlich unerheblich sind. Die Wand soll die »kulturelle Vielfalt« der Welt darstellen – doch wo sind dann die Objekte aus Europa?

Die Gestaltung der beiden Ausstellungen wirft also grundsätzliche Fragen zum Umgang und zur Repräsentation angeeigneter Objekte aus den ehemaligen Kolonien auf. Und sie zeigt, dass die Museen noch einen weiten Weg der Dekolonisierung vor sich haben. Klar ist: Mit zwei Sonderausstellungen zum Thema ist es lange nicht getan. Indes werden die radikalen Fragen danach, wie man koloniales Unrecht endlich aufbrechen kann, anderswo diskutiert: In zivilgesellschaftlichen Debatten, sowie dekolonialen und antirassistischen Initiativen aus den ehemals kolonisierten Ländern. Wünschenswert wäre, dass sich die Museen von genau solchen Debatten beeinflussen ließen. Die Kritik an ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis müssen sie endlich ernst nehmen, statt sie nur im strategischen Sinne einzuspeisen um die eigene Existenz zu legitimieren.

Annalena Eble ist Mitarbeiter*in im iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 394 Heft bestellen
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