Ein Mitglied des Entminungsteams birgt verlassene Munition vom Schlachtfeld. Die Minenräumungsabteilung der MONUSCO räumte nach dem Konflikt zwischen der FARDC und den M23-Rebellen 2013 in und um die Region Goma Blindgänger | Foto: MONUSCO/Sylvain Liechti
»Offizielles Ziel der M23 ist die Revolution in der DR Kongo«
Einschätzung eines historisch gewachsenen Konfliktes
Die Stadt Goma ist seit dem 27. Januar 2025 unter Kontrolle der Rebellenorganisation M23. Doch was wollen die Rebellen? Und warum wird die Demokratische Republik Kongo schon so lange von bewaffneten Unruhen gebeutelt? Der Politikwissenschaftler und Journalist Alex Veit beobachtet die Region seit Langem. Mit iz3w hat er darüber gesprochen, warum der Konflikt auch einer zwischen zwei Staaten ist.
iz3w: Welche Konfliktparteien sind in und um die kongolesische Stadt Goma aktuell unterwegs?
Alex Veit: Eins vorweg: Seit dem 15. Februar ist neben Goma schon die zweite Millionenstadt belagert, das 200 Kilometer südlich liegende Bukavu mit über 1.1 Millionen Einwohner*innen. Beides sind Provinzhauptstädte: Goma von Nord-Kivu, und Bukavu von Süd-Kivu.
Die wichtigste nicht-staatliche Konfliktpartei ist die M23, die Bewegung 23. März. Um sie zu verstehen, muss man um ihre Verbindung zu Ruanda wissen. Schon zur Zeit des ersten Kongokriegs 1996-97 gab es eng mit Ruanda kooperierende bewaffnete Organisationen. Sie waren Teil der Rebellenkoalition »Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung Kongos« (AFDL, Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo). Deren Anführer, Laurent-Désiré Kabila, wurde 1997 Präsident des Kongo. Aus der AFDL aber spalteten sich später Gruppen ab, hinter denen Ruanda stand. Immer wieder eroberten diese Splittergruppen größere Gebiete im Kongo. Das aktuell besetzte Gebiet ist vergleichsweise klein, aber strategisch sehr wichtig: Es liegt an der Grenze von Ruanda und der DR Kongo, die Vulkanerde dort ist landwirtschaftlich sehr wertvoll, das Gebiet ist dicht besiedelt. Dort lagern zudem Bodenschätze wie Columbit-Tantalit (Coltan) und Gold.
In der DR Kongo profitieren wenige vom Reichtum an Kobalt
Neben der M23 und anderen bewaffneten Gruppen existiert natürlich die kongolesische Armee. Aber sie ist in sich gespalten. An vielen Schaltstellen sitzen Generäle, die ihren Posten während der Regierung von Joseph Kabila (2001-2019) erhielten und immer noch loyal zu dem früheren Präsidenten sind. So hat die aktuelle Regierung unter Félix Tshisekedi keine einheitliche, loyale Armee. Sie stützt sich zudem auf andere Konfliktakteure, etwa die Milizenkoalition Wazalendo (Swahili für »Patrioten«), zudem auf die FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda), die eigentlich aus Ruanda sind. Zwischenzeitlich gab es militärische Unterstützung von regionalen Organisationen, erst von der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) unter der Führung Kenias, später durch die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC). Das waren vor allem Soldaten aus Südafrika, die auch in der UN-Mission Monusco eine wichtige Rolle gespielt haben. Doch dieser Versuch von Tshisekedi, mit immer mehr Verbündeten den Konflikt mit der M23 zu gewinnen, ist gescheitert. Was fehlte war eine einheitliche Strategie, militärisch wie politisch.
Die M23 rekrutiert zumindest ihre Führung stark ethnisch
Die M23 rekrutiert zumindest ihre Führung stark ethnisch, und zwar aus der Bevölkerungsgruppe der kongolesischen Tutsi und ihnen nahestehenden Gruppen. Das sind also Kongoles*innen, aber sie haben enge Beziehungen in die ruandische Hauptstadt Kigali. Die UNO hat in mehreren ihrer sechsmonatlich erscheinenden Expertenberichte belegt, dass sich ruandische Truppen in der DR Kongo befinden. Es gibt immer mehr Indizien und Beweise dafür, dass sie mit der M23 vermischt sind, und dass die M23-Rebellen von ruandischen Offizieren begleitet werden. Davon zeugen auch moderne Waffensysteme, die nur über Ruanda ins Land gekommen sein können. In diplomatischen Kreisen ist das eigentlich unumstritten – außer in Ruanda. Der Konflikt ist also auch einer zwischen zwei Staaten, von denen der eine – Ruanda – den anderen völkerrechtswidrig angegriffen hat.
Konfliktgruppen in Nord- und Südkivu im Osten der DR Kongo | Grafik: Borysk5
Was treibt die M23 an?
Neben den wirtschaftlichen Gründen ist es die Geschichte des Genozids 1994 an den Tutsi in Ruanda. In der gesamten Region ist vielen Angehörigen der Tutsi und Gruppen, die ähnlich gelesen werden, klar: ‚So etwas kann sich wiederholen, und niemand kommt uns zur Hilfe. Deshalb müssen wir für unsere eigene Sicherheit sorgen.‘ Die kongolesischen Tutsi haben zudem einen umstrittenen Staatsbürgerstatus. Sie sind teils erst während der Kolonialzeit in die DR Kongo eingewandert. Der Staat hat dann immer wieder ihre Staatsbürgerschaft in Frage gestellt. Daran hängen wiederum prekäre Landnutzungsrechte.
Die kongolesische Armee hat bei ihrem Rückzug viele Handfeuerwaffen zurückgelassen
Denn es gibt zwei unterschiedliche Rechtssysteme in der DR Kongo, das moderne und das traditionelle. Letzteres ist immer noch das wichtigere und stammt aus der Kolonialzeit. Damals hat die belgische Kolonialmacht jedem sogenannten ‚Stamm‘ ein gewisses Gebiet zugeteilt, wie es angeblich historisch hergebracht war. Die Belgier, also die Kolonialherren, wollten gerne einen aufgeräumten, übersichtlichen Kongo, in dem alle ‚Stämme‘ ungefähr gleich groß sind, eine eindeutige Führung haben und je ein eigenes Gebiet besiedeln. In Wirklichkeit lebten die verschiedenen Gruppen miteinander, es gab immer viel Migration. Erst der Kolonialstaat hat Grenzen festgelegt, auch zu Ruanda, wodurch Migration plötzlich zum Problem wurde.
Die kongolesischen Tutsi, die vergleichsweise spät in die Kolonie kamen, lebten in verschiedenen Stammesgebieten, und bekamen kein eigenes zugeteilt. Dass verkompliziert den Zugang zu Land, und sorgt für Misstrauen gegenüber der kongolesischen Regierung und anderen ethnischen Gruppierungen. Dieser Prekarität wohnt ein hohes Mobilisierungspotential inne.
Was hat die M23 mit dem besetzten Gebiet vor?
Offizielles Ziel der M23 ist die Revolution in der DR Kongo. Sie will die Regierung stürzen und ein neues, gerechteres System errichten. Ob das aber tatsächlich das ist, was die Chefs der M23 und ihre Verbündeten in Ruanda aktuell verfolgen, würde ich bezweifeln. Die großen, schwach bevölkerten Gebiete westlich der Kivu-Provinzen lassen sich zwar relativ leicht erobern, aber nur mit viel Aufwand wirklich kontrollieren. Es sieht eher so aus, dass Ruanda auf der kongolesischen Seite der gemeinsamen Grenze eine Zone schaffen will, in der es das Sagen hat, die wirtschaftlich ertragreich ist, und die eine Art Sicherheitsbarriere zum Rest des Kongo bildet. Auch gegen Angriffe der FDLR, einer ruandischen Gruppe, in der sich nach dem Genozid 1994 die Täter auf kongolesischem Territorium zusammengefunden hatten, die Génocidaires. Offiziell hat sich Ruanda dazu aber nie geäußert, angeblich gibt es ja keine ruandischen Soldaten im Kongo, und die M23 ist eine unabhängige Kraft.
Straßenzug in der Provinzhauptstadt Goma in DR Kongo 2016 | Foto Baron Reznik | CC BY-NC-SA 2.0
Wie sieht es in Goma und den restlichen besetzten Gebieten aus?
Die Frontverläufe sind derzeit recht eindeutig. Am Wichtigsten sind die Siedlungsgebiete der Tutsi und das Gebiet nahe der Landesgrenze entlang des Kivusees. Die kongolesische Armee hat bei ihrem Rückzug, eher einer wilden Flucht, viele Handfeuerwaffen zurückgelassen. Dadurch wurde die ohnehin von großer Unsicherheit und Armut geprägte Region noch unsicherer. Es gibt Überfalle und Lynchjustiz. Die M23 hat es bisher nicht geschafft, zivile Sicherheit in den von ihr militärisch kontrollierten Großstädten herzustellen. Doch leider muss man auch sagen: Das ist auf eine Weise die Normalität im östlichen Kongo, wo seit drei Jahrzehnten Kriege und bewaffnete Konflikte stattfinden; in denen bewaffnete Gruppen immer wieder Gebiete erobern und besetzen, dann wieder aufgeben oder verlieren. Man bedenke: Knapp die Hälfte der Bewohner*innen sind unter 14 Jahre, und auch für einen großen Teil der über 14-Jährigen herrschte in ihrer gesamten Lebenszeit Krieg oder zumindest bewaffnet ausgetragene Konflikte.
»So etwas kann sich wiederholen und niemand kommt uns zur Hilfe«
Internationale Hilfswerke, die die prekäre medizinische Versorgung organisieren, werden in der Regel nicht behindert, wenn sie sich mit den bewaffneten Gruppen auseinandersetzen Die Ernährungslage ist allerdings sehr prekär. Millionen von Menschen wurden vertrieben – ihre Versorgung ist schwierig, Märkte sind teils unzugänglich, Ernten ausgefallen. Manche können nicht gefahrlos auf ihre Felder. Viele sind dennoch wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt, insbesondere die ganz arme Bevölkerung. Die Menschen haben mehr Angst vor bewaffneten Kämpfen als vor politischer oder ethnischer Verfolgung. In den Städten sind die Preise zwar gestiegen. Doch wer es sich leisten kann, kauft weiterhin etwas in den Läden, die noch beliefert werden. Auch das ist die Normalität des Kriegs: Ein paar Tage lang gibt es Kämpfe, und dann kehrt das Leben wieder zurück.
Warum bekommt die DR Kongo diesen Konflikt nicht unter Kontrolle?
Das ist eine große Frage. Vor Jahren diskutierte man in den USA die Frage: Ist die DR Kongo zu groß? Lässt sich dieses Land überhaupt regieren? Das führte in der DR Kongo zu einem riesigen Aufschrei, aus Angst das Land könne zerteilt werden. Die Frage ist trotzdem berechtigt. Schaut man sich nur den Westen mit der Hauptstadt Kinshasa, aber auch den Norden, Süden und Südosten des Landes an, sieht man – verglichen mit Nachbarstaaten der Region - durchschnittlich stabile politische Systeme. Für den Ostteil aber, von der Grenze zum Südsudan bis zum Tanganjika-See, wurde nie ein Weg gefunden, staatliche Präsenz zu gewährleisten. Doch in diesem Gebiet lebt ein Drittel der Bevölkerung, es gehört wirtschaftlich, sprachlich, und kulturell eher zu Ostafrika. Regierungen in Kinshasa haben nie den Willen und die Mittel aufgebracht, vielleicht auch nie die Möglichkeit gefunden, den Ostkongo zu regieren. Dazu braucht es Verwaltungsstrukturen, ein Finanzamt, eine Polizei – all das kostet Geld.
Zugleich haben die Regierungen aber auch lokale Lösungen unterbunden, unter anderem, um die Profite aus Bodenschätzen nicht zu verlieren. In dieser Situation verblieb die Region seit der Unabhängigkeit 1960 immer unruhig und tendenziell unregierbar, zumal auch in den Nachbarländern mehrere bewaffnete Konflikte stattgefunden haben.
Die ruandische Regierung argumentiert gerne, dass die Regierung in Kinshasa doch bitte für Ordnung sorgen solle. Dann sei man mit allem einverstanden. Und ein Stück weit haben sie recht: Die DR Kongo hat es nie geschafft ein Regierungssystem zu finden, dass auf einem Konsens in der Gesellschaft basiert und gesellschaftliche Konflikte regeln kann. Sicherheit wird in weiten Teilen des Ostkongo nicht als Allgemeingut wahrgenommen, weil man sich diesbezüglich nie auf den Staat verlassen konnte.
Gibt es eigentlich ein Narrativ oder eine Idee, die die DR Kongo zusammenhält?
Ja, es gibt einen großen Patriotismus, auch in Bezug auf die Unabhängigkeitszeit um 1960. Es wird an den ersten Präsidenten Patrice Lumumba erinnert und die kongolesische Popmusik spielt eine wichtige Rolle. Der kongolesische Rumba war seit den 1960er Jahren die führende Musikrichtung in ganz Ost- und Zentralafrika, darauf ist man recht stolz. Ein anderer Aspekt ist der nationale Opfermythos. Das liegt an den vergangenen Kriegen und an der Ausbeutung von Bodenschätzen. Es gibt aber auch das Narrativ: Wenn wir alle zusammenhalten, dann kriegen wir das hin. Doch weil das natürlich nicht klappt, gibt es viele Verschwörungstheorie oder Verrätermythen, laut denen Ex-Präsident Joseph Kabila ein Agent Ruandas sei, der Sohn einer ruandischen Mutter. Und das aus einem Grund: Auch über ruandische Frauen gibt es Verschwörungsmythen, die u.a. auf spirituelle Geschichten rekurrieren. Sie würden die kongolesischen Männer bezirzen, damit die ruandischen Männer die Herrschaft übernehmen könnten.
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