Für Menschenrechte das Leben lassen
Rezensiert von Clara Taxis
26.06.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 397
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe
Das Vorwort endet mit einer Triggerwarnung: »Es sind oft Geschichten der Gewalt und des Schmerzes, deswegen liegt über dem gesamten Buch eine Content Note.« In Unser Schwert ist Liebe schreibt Gilda Sahebi über die feministische Revolte im Iran, erklärt sie anhand historischer Entwicklungen und gibt Einblicke in ihre eigene Flucht- und Familiengeschichte. Bei alldem geht es darum, die einzelnen Menschen hinter den Zahlen nicht zu vergessen.
Namen nennen: Für Sahebi ist das ein Akt des Widerstands. Das Regime verfolge seit 1979 das Ziel, die Opfer seiner Repression möglichst als anonyme Dunkelziffer zu verhandeln. Das Buch endet mit einer 17-seitigen Liste der Todesopfer des Regimes seit Beginn der Proteste im September 2022. Wer dieses Buch gelesen hat, kann nicht sagen, nichts von den Verbrechen des iranischen Regimes gewusst zu haben.
Die Frage danach, warum die Proteste so viel sichtbarer sind als frühere Bewegungen, beantwortet die Autorin unter anderem mit der internationalen Solidarität. Sie lobt die empathischere Berichterstattung und dass mehr Menschen mit persönlichem Bezug und Expertise sprechen. Eine Voraussetzung dafür war, dass die iranische Diaspora Position bezieht. Der Preis ist hoch: Wer sich öffentlich regimekritisch äußert, kann selbst nicht mehr risikofrei in den Iran reisen.
Der zweite Teil der Antwort über die Sichtbarkeit der Proteste liegt im Iran selbst: Die Proteste sind zum ersten Mal umfassend. Sie umfassen Zentrum wie Peripherie, ethnische Minderheiten wie Mehrheitsbevölkerung, Frauen und alle anderen. Das Regime hingegen versuchte die Proteste als regional begrenzt darzustellen und intervenierte etwa in der kurdischen Region militärisch. Ein Ablenkungsmanöver, auf das die Menschen laut Sahebi mit demonstrativen Solidaritätsbekundungen reagiert haben: Von Hackerangriffen auf Fernsehkanäle des Regimes bis hin zu mehreren Generalstreiks im ganzen Land. Neben den Massenprotesten auf der Straße brachte die Bewegung neue Protestsongs hervor und verbreitete ihre Bilder und Videos – trotz Internetsperren – intensiv in den Sozialen Medien.
Namen nennen: Für Sahebi ist das ein Akt des Widerstands
Auch Gilda Sahebi selbst kann nicht in den Iran reisen. Trotzdem berichtet sie. Das geht nur, weil Leute vor Ort ihr Leben riskieren, um Informationen ins Ausland weiterzuleiten. Das iranische Regimekämpft um jede (Des)information. Sahebi sieht es als größte Herausforderung, Desinformation von Information zu unterscheiden. Im Dezember 2022 übernahmen auch internationale Medien die Meldung, dass die berüchtigte Sittenpolizei aufgelöst worden sei. Schnell wurde klar, dass das Regime mit dieser Meldung von den Protesten ablenken wollte.
Neben der Autorin selbst kommen drei weitere (trans) Frauen aus dem Iran zu Wort, die die Geschichte des Kampfes für Menschrechte, die kurdische und eine LGBTQI-Perspektive einbringen. Vor allem Letztere ist eindrucksvoll, da der*die Autor*in Intersektionalität in der iranischen feministischen Bewegung einfordert. Es sei notwendig, den Widerstand aus einer binären Logik zu lösen. Eine besondere Rolle misst Sahebi Mediziner*innen und Journalist*innen bei. Sie beschreibt eindrücklich, wie Erstere gezielt getötet werden, wenn sie Protestierende notversorgen oder privat Oppositionelle pflegen. Journalist*innen sind deshalb so wichtig, weil sie etwa durch die Berichterstattung über den Tod von Jina Mahsa Amini überhaupt erst die landesweite Solidarisierung ermöglichen. Sahebi kritisiert zudem Diskurse in Deutschland: Realpolitik sei ein kurzsichtiger Begriff, denn Begründungen für die Kooperation mit dem aktuellen Regime, wie Stabilität und Sicherheit in Atomfragen, fußen immer auf der Unterstützung eines repressiven Regimes – langfristig sei das auch für Deutschland eine instabile Angelegenheit.
Ihr zweites Anliegen dreht sich um die deutsche Debatte über das Kopftuch. Ihrer Wahrnehmung nach stehen sich hier eine Dämonisierung des Islam einerseits und Kulturrelativismus andererseits gegenüber. Beide seien von einer rassistischen Denkweise geprägt und instrumentalisierten die Revolte im Iran. Stattdessen sollten sich alle, die für emanzipative soziale Bewegungen einstehen, die iranische Revolte als feministische Weltgeschichte feiern und unterstützen. Das Buch ist ein Zeitdokument, das Gilda Sahebi innerhalb kürzester Zeit zusammengestellt hat. Es gelingt ihr, bekannte Social-Media-Bilder und hierzulande medial verbreitete Momentaufnahmeneinzuordnen und die Leser*innen die Dringlichkeit der Revolte spüren zu lassen. Das Buch wiederholt sich jedoch oft, es ist eine Sammlung von Texten, die teilweise aus früheren Veröffentlichungen stammen. Manche Themen wie die Giftangriffe auf Mädchenschulen haben dagegen keinen Platz gefunden. Mehr Raum gibt Sahebi diesen Themen in ihrem Podcast »Das Iran Update«.