»Identität ist kein Selbstzweck«
Interview mit Lea Susemichel über Identität und Solidarität
Solidarität wird häufig gefordert und erlebt mit Menschen, die gemeinsame Identitäten teilen. Wie Solidarität aber genau aus Trennendem und in Auseinandersetzung entstehen kann, beschreibt Lea Susemichel im Gespräch mit der iz3w. Sie ist Co-Autorin der Bücher »Identitätspolitiken« und »Unbedingte Solidarität« und leitende Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge.
iz3w: Was verstehst du unter linker Identitätspolitik?
Lea Susemichel:Linker Identitätspolitik geht es um Gerechtigkeit, sie kämpft gegen Ungleichheit. Marginalisierte Gruppen, die sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen, müssen sich notgedrungen auf eine Identität beziehen. Sie ist aber nicht selbstgewählt, sondern gewaltsam verliehen und geht mit Unterdrückung einher. Alle zentralen Bürgerrechts- oder Gleichstellungsbewegungen des 20. Jahrhunderts waren identitätspolitisch organisiert: die feministischen Bewegungen, das Civil Rights Movement und die LGBTIQ-Bewegung.
Geprägt hat den Begriff Identitätspolitik 1977 das Combahee River Collective, ein Kollektiv Schwarzer, lesbischer Marxistinnen. Linke Aktivistinnen selbst haben sich dennoch kaum auf diesen Begriff bezogen. Erst seit einigen Jahren wird er eher von der Gegenseite inflationär gebraucht. Nicht als Selbstbeschreibung emanzipatorischer Bewegungen, sondern vor allem als reaktionärer Kampfbegriff, um deren Aktivismus zu diskreditieren und zu delegitimieren.
Oft wird behauptet, Identitätspolitik verunmögliche Solidarität. Was ist da dran?
Momentan ist viel von den »Selbstgerechten« die Rede, so etwa bei Sahra Wagenknecht, oder den sogenannten Snowflakes, die sich nur noch mit ihrer individuellen Diskriminierungserfahrung