CD Cover von Blitz The Ambassador
Afropolitan Dreams: Blitz The Ambassador | Foto: CD-Cover

Afrika ver­kom­pli­zieren

Mit »Afropolitan« ist eine vielschichtige neue Literaturgattung entstanden

2005 prägte die britisch-nigerianisch-ghanaische Autorin Taiye Selasi den Begriff »Afropolitan«. Gemeint sind damit junge AuswanderInnen aus afrikanischen Ländern in Nordamerika oder Europa, die zwischen verschiedenen Welten leben. Selasi traf damit einen Nerv der Zeit. Mittlerweile wird unter »Afropolitan« auch ein neuer Literaturstil subsumiert. Zu seinen bekanntesten ProtagonistInnen zählen Chimamanda Ngozi Adichie, Sefi Atta, Teju Cole und NoViolet Bulawayo.

von Rosaly Magg

06.12.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 345

Selasis Afropoliten, die jüngste Generation afrikanischer AuswanderInnen, sind an vielen Orten zuhause. Sie sind weltläufig und haben ein neues Selbstbewusstsein. Sie sind keine WeltbürgerInnen, sondern »WeltafrikanerInnen«. Afropolitisches Bewusstsein zeichnet sich für Selasi vor allem durch die Ablehnung allzu starker Vereinfachungen aus – egal, wo man lebt.

»Mir war schmerzhaft bewusst, dass ich keine einfache oder zufriedenstellende Antwort auf die Frage 'Woher kommst du?' hatte«, erzählt Taiye Selasi in einem Interview. In ihrem stilbildenden Essay »Bye Bye Babar« über die afropolitische Identität bringt sie ihren komplexen Begriff von Selbst- und Fremdkonstruktion auf den Punkt: »Offensichtlich ist, wie sehr ein moderner junger Afrikaner seine Identität aus völlig verschiedenen Quellen erfinden muss. Mit 'brauner Haut' aber ohne ein fundamentales Gefühl, 'schwarz' zu sein, und zugleich von den afrikanischen Verwandten dafür gehänselt, sich 'weiß' zu verhalten – der junge Afropolit kann sich leicht zwischen den Welten verirren.«

Lost in transnation – von einer kulturell komplexen Welt erzählen auch fünf neue Romane, die allesamt im Licht des Afropolitan-Diskurses entstanden sind. Sie berichten vom Bemühen, zu verstehen, was in Afrika falsch läuft und zeigen zugleich den Willen, zu würdigen, was wunderbar und einzigartig ist. In all diesen Romanen folgt auf die entkolonisierte Welt eine globalisierte. Migration und Rassismus werden zu den Leitthemen.

Ghana must go

In Taiye Selasis Roman Diese Dinge geschehen nicht einfach so steht ein Familienleben auf dem Prüfstand. Auf den ersten hundert Seiten geht es um den Tod des Familienvaters, unterbrochen von Rückblenden, Gedankensprüngen und Ortswechseln. Doch was ist vor dem Tod des Vaters geschehen? Kweku ist ein hoch angesehener Chirurg in Boston, der die Familie jeden Morgen im OP-Kittel verlässt. Ein perfides Mobbing bringt ihn schließlich zu Fall. Er verliert seine Arbeit, verheimlicht dies vor der Familie, verlässt sie und kehrt nach Ghana zurück. Als er dort Jahre später überraschend an einem Herzinfarkt stirbt, reist die inzwischen auf drei Kontinente versprengte Familie an: Fola, seine große Liebe, die Mutter seiner Kinder, Olu, der perfekt-penible Lieblingssohn, Arzt wie der Vater. Sadie, die Jüngste, die an Bulimie leidet und an der Zerrissenheit ihrer Familie. Und dann sind da noch die Zwillinge, beide durchs Leben taumelnd: Kehinde, ein begabter Künstler, und dessen Schwester Taiwo, die ihr Jurastudium abgebrochen und eine Affäre mit dem Dekan der Universität hat.

Die Familie ist durch und durch afropolitan: Ihre Mitglieder sind an vielen Orten zuhause, sind mehrsprachig aufgewachsen, gehören zur gebildeten Mittelschicht und kämpfen in allen Generationen gegen rassistische Vorurteile. Meisterlich bringt Selasi den alltäglichen Rassismus in den USA auf den Punkt, als Kweku gefragt wird: »'Wo haben Sie ihre Ausbildung gemacht?' (–) 'Im Dschungel. Bei den wilden Tieren', antwortete Kweku. 'Gelehrt haben dort Schimpansen. Großartige Lehrmeister. Wer hätte das gedacht?'«

Im Original heißt der Titel des Romans »Ghana must Go« – so der Begriff für die Vertreibung von zwei Millionen GhanaerInnen aus Nigeria im Jahr 1983. Dass die meisten Flüchtlinge mit nicht viel mehr als mit so genannten »Ghana-must-go-Plastiktüten« das Land über Nacht verlassen mussten, ist für Selasi Sinnbild für den Streit um Identität und Zugehörigkeit. Die Ghana-must-go-Tüten stehen für Heimatlosigkeit und Migration. Denn vor allem ist der Roman eine Migrationsgeschichte zwischen Ghana, Nigeria und den USA, die von der Zerrissenheit der AfropolitInnen erzählt. Selasi stellt die Entwurzelung und den alltäglichen Rassismus zwar nicht in den Vordergrund. Aber sie scheinen immer wieder durch, wenn es um die unterschiedlichen Positionen von erster und zweiter Einwanderergeneration geht.

Am Ende ist klar: Die erste Generation hat es verpasst, in den USA anzukommen – deshalb gingen Kweku und später auch Fola zurück nach Westafrika. Und nur eventuell hat die zweite Generation eine Chance dazu, anzukommen. So erzählt Fola, die Mutter: »Wir waren Immigranten. Immigranten gehen weg.« Über die jüngere Generation sagt sie: »Wir haben gelernt, wie man liebt, sie können jetzt lernen, wie man bleibt.«

Race, Class & Gender

Rassismus und Migration sind auch die Hauptthemen von Chimamanda Ngozi Adichies Bestseller Americanah über Ifemelu und Obinze, die nicht zusammen finden (siehe Rezension in iz3w 346). Adichie schreibt klug, humorvoll, politisch – und erzählt en passant von Unterdrückung und Fremdsein. Dabei wechselt sie die Orte und montiert zahlreiche Rückblenden ein, so dass eine komplexe Lebensgeschichte entsteht. Ihre Sprache ist frisch und unaufgeregt, aber auch messerscharf analytisch. Sonst so schwer beschreibbare Romanthemen wie Diskriminierung und Identitätsverlust werden bei Adichie zu poetischen Highlights.

»Afrika T-Shirts sind lediglich Designerklamotten für Leute mit sozialem Gewissen«

Haare und Frisuren sind für die Autorin der Aufhänger, um über alltäglichen, manchmal auch 'Positiv-Rassismus' zu schreiben. Die Protagonistin Ifemelu sitzt über viele Romanseiten beim Friseur, um sich Braids flechten zu lassen. Es wird klar, dass ihr Haar in den USA einen gesellschaftlichen Kontext hat – genauso wie die 'Hautfarbe'. Das dunkle, krause Haar ist in Amerika ein Indiz für 'Rasse'. Erst in Amerika habe sie gelernt, was es bedeutet, Schwarz zu sein. Ganz im Gegensatz zu Nigeria, wo Schwarzsein keine politisch-soziale Bedeutung hat. Zwar haben NigerianerInnen koloniale Erfahrungen mit der Kategorie 'Rasse' und es existiert ein fundamentales Wissen über die Sklaverei. Aber Hierarchien entfalten sich im postkolonialen Nigeria entlang von Sozialisation, Bildung und Klasse.

Spannend erzählt Adichie, wie sehr Rassismus das Leben im ach so liberalen Amerika prägt. Deshalb beginnt Ifemelu einen Blog mit dem Titel »raceteeth – oder ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen« zu veröffentlichen. Sie bloggt Beobachtungen darüber, was sie am eigenen Leib erfährt. Dabei zeigt sie die politische Aufladung des Alltags auf. In pointierten Sätzen wird klar, dass in Amerika 'Rasse' manchmal gleich Klasse ist: »In Amerika werden 'Schwarze' insgesamt oft mit 'armen Weißen' in einen Topf geworfen. Nicht etwa arme Schwarze und arme Weiße. Sondern Schwarze und arme Weiße. Wirklich sehr kurios.«

Am Ende des Romans beschließt Ifemelu nach Nigeria zurückzukehren, wie so viele andere »Americanah«, die es nach Amerika verschlagen hat und die mit Geld und 'westlicher' Bildung in ihre Heimat zurückkehren und sich dann darüber lustig machen, dass es in Lagos keine anständigen Smoothies gibt: »Ehrliche Auskunft: Ich bin eine von ihnen. Die meisten von uns sind nach Nigeria zurückgekehrt, um Geld zu machen, ein Unternehmen zu gründen, Regierungsaufträge und -kontakte an Land zu ziehen. Andere sind mit Träumen in der Tasche und einem Hunger, das Land zu verändern, zurückgekommen, doch wir beschweren uns die ganze Zeit über Nigeria, und obwohl unsere Klagen begründet sind, wäre ich gern die Außenseiterin, die sagt: Geht zurück, wo ihr hergekommen seid!«

Die virtuosen Sätze klingen lange im Kopf nach. »Americanah« ist eine Geschichte über die Identitätssuche einer jungen Generation. Die ProtagonistInnen sind allesamt gebildete afrikanische oder nicht-afrikanische Schwarze, die in Princeton oder Yale studiert haben, zwischen Amerika, Europa und Afrika hin und her pendeln. Afropolitan? Adichie betont in Bezug auf den Begriff, es mache sie »misstrauisch, dass es extra eines Begriffes bedürfe, um einen kosmopolitischen Afrikaner zu beschreiben. Einen Schweden in Washington D.C. würde ja auch niemand als 'Europolitan' bezeichnen. Außerdem ersetze der Begriff nur das »Stereotyp des armen, bemitleidenswerten Afrikaners durch das Stereotyp des affektierten Afrikaners, der über alle Register kultureller sophistication verfügt« (ZEIT, 15. Mai 2014).

Aber auch wenn sich Adichie gegen die Kategorie »Afropolitan« wendet, bedient sie sich derselben Inhalte: Ihre ProtagonistInnen gehören in gewisser Weise zur Elite ihres Landes, sind intellektuell versiert, wechseln zwischen den Welten und haben die Bereitschaft, wie Selasi es ausdrückt, »Afrika zu verkomplizieren – das heißt, sich mit den Teilen Afrikas, die ihnen am meisten bedeuten, auseinanderzusetzen, sie zu kritisieren und zu zelebrieren«.

Adichie wird im Literaturbetrieb hoch gelobt, aber es gibt auch Kritik. So wirft ihr die nigerianische Schriftstellerin Yemisi Ogbe vor, dass Adichie Nigeria nur als Vorspiel benutze für »einen Ort, an dem das tatsächliche Selbstbewusstsein aufbricht: Für Amerika«. Sicher, bei Adichie dreht sich vieles um Definitionen von Race, Class und Gender. Aber sie kehrt ihre Definitionen nicht gegen ihre SchöpferInnen. Sie ist zugleich kulturelle Chronistin, gesellschaftliche Kommentatorin und Geschichtenerzählerin.

Der Eindruck, unschuldig zu sein

Ein grandioser Geschichtenerzähler ist auch Teju Cole. Sein Protagonist Julius in Open City ist ein Flaneur, der die Stadtviertel von New York oder später von Brüssel durchquert, »als wollte ich sie mit meinen Schritten vermessen«. Im Schritttempo erzählt er von Begegnungen aus der Welt eines Afropoliten.

Julius ist gebildet, Mediziner mit kunstgeschichtlichem Background. Er spricht wie alle Afropoliten mehrere Sprachen und analysiert messerscharf seine Erfahrungen mit dem 'weißen Lifestyle'. Sein Leben ist geprägt von Rassismuserfahrungen, die er aber nur beschreibt, niemals bewertet. Er trifft auf den Flüchtling Saidu aus Liberia, einen Schuhputzer aus Haiti, den Internetcafébetreiber Farouq. Oder aber auf Dr. Maillotte auf dem Flug nach Brüssel, die gnadenlos über NigerianerInnen urteilt: »Ich kenne jede Menge Nigerianer, aber ich muss Ihnen leider sagen, viele sind arrogant. (…) Die Ghanaer dagegen, fuhr Dr. Maillotte fort, sind viel ruhiger, man kann besser mit ihnen zusammenarbeiten. Sie nehmen ihre Position in der Welt nicht so wichtig.«

Teju Cole wurde 1975 in den USA als Sohn nigerianischer Eltern geboren und wuchs in Lagos auf. Mit 17 Jahren kehrte er zum Studium in die USA zurück. Seine Beobachtungen sind präzise: »Weiß ist eine Rasse, Schwarz ist eine Rasse, aber Spanisch ist eine Sprache. Das Christentum ist eine Religion, der Islam ist eine Religion, aber das Judentum ist eine ethnische Zugehörigkeit. Das ergibt keinen Sinn.« Er sinniert auf seinen Reisen auch über die koloniale Vergangenheit. So sieht er die in Brüssel lebenden AfrikanerInnen immer auch als Kolonisierte, als Produkte des »Sklavenstaates in Belgisch-Kongo«, und gleichzeitig als VertreterInnen eines modernen, bürgerkriegszerfressenen Afrikas. Bei einem Kneipenbesuch trifft er auf eine Gruppe Ruander: »Diese Menschen waren wie junge Leute überall sonst auf der Welt. Und ich spürte die Beklemmung, die mich – auch wenn sie manchmal kaum wahrnehmbar ist – immer überkommt, wenn ich junge Männer aus Serbien oder Kroatien, Sierra Leone oder Liberia treffe. Ein Argwohn, dass auch sie getötet und erst später gelernt haben könnten, wie man den Eindruck erweckt, unschuldig zu sein.« Als Afropolit will er sich mit der Fremdwahrnehmung auseinandersetzen und Zuschreibungen begreifen.

Keinen Deut besser

Auch für Sefi Attas Protagonistin Deola in Nur ein Teil von Dir ist das Leben kompliziert und sie analysiert die Menschen genau – seien sie Weiß oder Schwarz, seien sie Landsleute oder nicht. Deola ist 39, kommt aus Nigeria und arbeitet in London als Wirtschaftsprüferin für eine internationale Hilfsorganisation. Wie schon Ifemelu in »Americanah« oder Julius in »Open City« lehnt sie jede Verallgemeinerung über Afrika ab. Aber sie schaut auch aufmerksam auf rassistische Strukturen: »Sie hat gehört, Amerika sei ein rassistisches Land. Es ist ihr ein Rätsel, warum das selten jemand über England sagt.« Doch die NigerianerInnen sind für sie kein Deut besser: »Nigerianer ließen Flüchtlingskinder aus Niger betteln gehen und schwängerten deren Mütter. Nigerianer warfen Ghanaer aus dem Land, sobald sie zu tüchtig wurden und Jobs übernahmen, zu denen Nigerianer nicht fähig waren, und sie benannten große Plastiktaschen nach dem Massenexodus: Ghana must go.«

Als Deola beruflich von London nach Nigeria fliegt, wird das Wiedersehen mit Familie und FreundInnen zu einem Prüfstein für ihre afropolitane Identität. Sie muss sich den Erwartungen der Familie entziehen, deren Vorstellungen von einem erfüllten Frauenleben untrennbar mit Ehe und Mutterschaft verbunden sind. Auch wird sie wieder mit der Lebenswirklichkeit im Moloch Lagos konfrontiert, und so steckt sie fest zwischen den zwei Seiten ihres Lebens.

In ihrem Roman nimmt Sefi Atta gängige Klischees von Afrika sowie das globalisierte Hilfsbusiness auseinander. Zum einen zeigt sie auf, wie sehr das Afrikabild aus Hollywoodfilmen mit der Perspektive des Mangels gefüttert ist und »dass Afrika T-Shirts lediglich Designerklamotten für Leute mit sozialem Gewissen« sind. Zum anderen setzt sie sich mit sozialen Realitäten in Nigeria auseinander: »Deola ist der Begriff 'Braindrain', der die Abwanderung von Fachkräften ins Ausland bezeichnet, suspekt (…) In ihren Ohren klang es wie eine höfliche Alternative für Leute, die eigentlich 'Geht zurück nach Afrika' sagen würden.«

Bist du auch aus Afrika?

Die Schriftstellerin NoViolet Bulawayo wurde 1981 in Zimbabwe geboren und lebt heute in den USA. Mit dem Roman Wir brauchen neue Namen schaffte es Bulawayo als erste schwarzafrikanische Autorin auf die Shortlist des Man Booker Prize. Ihr kraftvolles Debüt über eine Kindheit in Zimbabwe und Jugend in den USA erzählt vom Kolonialismus und dessen Folgen aus der Kinderperspektive. Aus Sicht der zehnjährigen Darling, die mit gleichaltrigen FreundInnen durch die heimische Blechhüttensiedlung Paradise streunt und dort Spiele wie Fangt-Bin-Laden erfindet, werden Machtstrukturen gezeigt. Obgleich noch ein Kind, kritisiert Darling schon die globalisierte Hilfswelt: »Jeder von uns kriegt ein Spielzeuggewehr, ein paar Süßigkeiten und was zum Anziehen; ich krieg ein T-Shirt mit dem Wort Google drauf und ein rotes Kleid, das unter den Achseln kneift.«

Neben ihrer literarischen Arbeit mischt sich Bulawayo immer wieder politisch ein: Nach 34 Jahren Herrschaft von Robert Mugabe fordert sie eine neue politische Führung in Zimbabwe. Im Roman stehen die zimbabwischen Wahlen sinnbildlich für einen Wendepunkt: Nach den Wahlen herrscht Gewalt, zwischen Weiß und Schwarz sowie zwischen Schwarzen. Bulawayo nennt Zimbabwe liebevoll »Zim, die geliebte Heimat, das Land MEINER Leute« und widmet ihrem Land das Buch: »Für deine Seele und für deine Haltung«.

Der zweite Teil des Romans spielt in Amerika, in »Destroyedmichigan« – Detroit, Michigan. Hier begegnet Darling alltäglichem, oft 'positivem Rassismus': »Bist du auch aus Afrika?« Afrika wird als Land wahrgenommen, nicht als Kontinent. »Mir ist klar, dass in diesem Land die Afrikaner am allermeisten von Weißen geliebt werden.« Denn sie blicken auf »Afrika« mit dem NGO-Hilfsblick, sie spenden Geld, machen Fotos von Tieren und Natur, von armen, lächelnden Kindern: »Sie fotografieren uns wie etwas Schönes.« In Briefen nach Hause lässt Darling ihre schlechten Erfahrungen mit den USA weg – Armut, Gewalt, Ausschreitungen –, »weil sich dadurch Amerika nicht wie MEIN Amerika anfühlt, von dem ich in Paradise immer geträumt habe.« Darling lernt in den USA, dass dieses Land »nicht unseres ist«. Wie die Sprache: »Beim Reden peitschten unsere Zungen wie wild im Mund herum und stolperten wie betrunkene Männer.«

Bulawayos Kinderperspektive hilft dabei, den Blick für die Afropolitan-Welt zwischen Globalisierung und Migration zu öffnen. Klar und einfach ist ihre Sprache, und dennoch differenziert: »Sie gehen in Scharen. In Länder, deren Namen sie nicht aussprechen können. Obwohl sie wissen, dass man sie kühl empfangen wird in jener Fremde.« In gewisser Weise verschärft der kindliche Blick zuerst einmal negative Effekte. Es ist ein Blick des Naiven, ein Blick, der vorgeformt und voller Klischees ist, die aber nicht gleichzeitig bewertet werden.

Diese Ambivalenzen verbinden AutorInnen wie Bulawayo mit Selasi, Adichie, Cole und Atta. Denn ihnen allen geht es um den Plural, also darum, Identitätsentwürfe offener, vielgestaltiger und beweglicher zu formulieren.

 

Literatur:

– Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2014. 608 Seiten, 24,99 Euro.

– Sefi Atta: Nur ein Teil von dir. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013. 345 Seiten, 22 Euro.

– NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 262 Seiten, 21,95 Euro.

– Teju Cole: Open City. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 334 Seiten, 11,40 Euro.

– Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2013. 398 Seiten, 21,99 Euro.

 

Rosaly Magg ist Mitarbeiterin im iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 345 Heft bestellen
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