Portrait Shifra Sagy - lächelnd
Shifra Sagy | Foto: Research Gate

Der eingebildete Feind

Antisemitismus in Afrika richtet sich vor allem gegen den jüdischen Staat Israel

Ein klarer Fall von antisemitischer Ausgrenzung: Shifra Sagy aus Israel ist emeritierte Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Friedenserziehung.  Im Winter 2018 wurde sie an die südafrikanische Universität Stellenbosch zu einer Konferenz mit dem Titel »Anerkennung, Wiedergutmachung, Versöhnung: Licht und Schatten historischer Traumata« eingeladen. Nachdem der in Südafrika lebende Philosoph und BDS-Unterstützer Achille Mbembe davon erfahren hatte, übten er und seine Professorenkollegin Sarah Nuttall so lange Druck auf die Veranstalter*innen aus, bis diese Sagy wieder ausluden.

von Felix Riedel

15.11.2020
Veröffentlicht im iz3w-Heft 381
Teil des Dossiers Antisemitismus

Auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 im südafrikanischen Durban machten Hakenkreuze, antisemitische Karikaturen, Sprechchöre und Hetzschriften deutlich, welch tiefe Wurzeln der Antisemitismus in der antirassistischen Bewegung geschlagen hatte. Die USA und Israel traten noch in Durban den Rückzug an, 14 westliche Staaten entschieden sich zum Boykott von Folgekonferenzen.

Neu war der antirassistische Antisemitismus nicht. Stokely Carmichael, der als »Kwame Toureh« nach Guinea ausgewanderte Black Panther und Star des Panafrikanismus, propagierte in den 1960ern und 70ern in wirren Reden die Wesensgleichheit von Rassismus und Zionismus. Er kann als einer der ersten großen Adepten damaliger sowjetischer Propaganda gelten, die teils aus antisemitischen Relikten der Stalin-Ära bestand und geschaffen wurde, um die arabischen Staaten auf die eigene Seite zu ziehen. Israel wurde als Teil des Westens, respektive als »weiß« identifiziert und gegen ein autochthones nationales Kollektiv gestellt: die »Palästinenser«.

Idi Amin pries den Holocaust

Die meisten afrikanischen Staaten hatten spätestens mit dem Yom Kippur-Krieg 1973 alle Beziehungen zu Israel gekappt. 1975 forderte die UN-Resolution 3379 »die Ausrottung des Kolonialismus und Neo-Kolonialismus, fremder Besatzung, Zionismus, Apartheid und rassistischer Diskriminierung in jeder Form«. Erst 1991 von der UN offiziell widerrufen, konnte sich diese Gleichsetzung wie ein Selbstläufer verbreiten: Antirassistisch zu sein bedeutete, die jüdischen Opfer des Nahostkonfliktes zu Täter*innen zu erklären.

Die gemein­same Bedroh­ung des Djihadis­mus eint weite Teile des subsahar­ischen Afrikas mit Israel

Dabei war Israel in der hoffnungsvollen Phase der afrikanischen Befreiungsbewegungen zunächst eher Vorbild und Partner. Beispiel Ghana: Der israelische Botschafter Ehud Avriel bemühte sich, in Ghana die erste Botschaft Israels auf dem afrikanischen Kontinent zu eröffnen. Der ghanaische Gewerkschaftsführer John Tettegah formte eine Gewerkschaft nach dem Vorbild der Histadrut. Erst unter dem wachsenden Druck Ägyptens vollzog Ghana unter Kwame Nkrumah einen Kurswechsel: Zusammen mit der Casablanca-Gruppe beendete es 1961 die diplomatischen Beziehungen zu Israel. Im Gegenzug erhielt Ghana Unterstützung von arabischen Staaten für seine Intervention im Kongo.

War dieser Antizionismus weitgehend instrumentell, wurde er bei Idi Amin in Uganda ideologisch. Nach anfänglich enthusiastischer Kooperation mit Israel uferten seine Forderungen aus, und als Israel sich 1972 weigerte, Kampfflugzeuge an Uganda zu liefern, wandte er sich Muammar al-Gaddafi und der Arabischen Liga zu. Bei der Entführung von Entebbe ordnete Idi Amin die Ermordung zweier israelischer Geiseln an. Die Abayudaya, eine afrojudaistische Religionsgruppe, ließ er aktiv verfolgen. Idi Amin pries laut der New York Times Hitler mit den Worten: »Hitler and all German people knew that Israelis are not people who are working in the interest of the people of the world and that is why they burned the Israelis alive with gas in the soil of Germany.«

1973 beendete auch Nigeria die diplomatischen Beziehungen mit Israel und nahm sie erst 1992 wieder auf. Heute zählt das Land zu den Top 20 der Handelspartner Israels. 2014 verweigerte der nigerianische UN-Botschafter die Teilnahme an einer von Jordanien eingebrachten Abstimmung, die Israel dazu aufforderte, die Besetzung von 1967 erobertem Land zu beenden. Zugleich verübt der Staat jedoch Übergriffe auf die etwa 30.000 jüdischen Igbo in Nigeria, die pauschal verdächtigt werden, der sezessionistischen Bewegung Indigenous People of Biafra anzugehören.  

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Seit 1994 pflegt auch Uganda wieder Beziehungen mit Israel, von Idi Amins pathologischem Antisemitismus findet sich keine Spur mehr. In Ghana wurde 2011 wieder eine israelische Botschaft eröffnet. Als die Botschafterin 2014 den Imamen der salafistisch orientierten Al-Sunna in Accra einige Säcke Reis und Zucker zum Zuckerfest spendete, dankten diese freundlich und sandten ihre aufrichtigen Segenswünsche an die Botschafterin. Doch dabei blieb es nicht: Aufgehetzte junge Muslime erzwangen die Entlassung des verantwortlichen Imams. Der Islamismusexperte Abdulai Iddrisu stellt fest, dass die antisemitischen Werke des islamistischen Ideologen Sayyid Qutb zunehmend von ghanaischen Islamist*innen der Al-Sunna rezipiert werden. Und solange islamische Schulen und Universitäten in Ghana von arabischen Staaten finanziert werden, haben diese Einfluss auf Lehrpläne – ähnlich wie andernorts fundamentalistische Christ*innen Kreationismus oder Homophobie verteidigen.

Heute suchen die meisten afrikanischen Staaten israelische Militärtechnik und Expertise im Krieg gegen den antisemitisch motivierten Djihadismus. Er bedroht Somalia und Kenia und hat über Nordnigeria und den Sahel zunächst Mali und nun Burkina Faso destabilisiert. Diese gemeinsame Bedrohung eint weite Teile des subsaharischen Afrikas mit Israel.

Imaginierte Apartheid in Israel

Während die meisten afrikanischen Staaten aus einer Phase der antiisraelischen Politik herauszutreten beginnen, rutscht Südafrika immer tiefer in den Antisemitismus ab. Die Regierungspartei ANC unterstützt seit 2012 offiziell die BDS-Kampagne und hat 2017 beschlossen, die südafrikanische Botschaft in Israel zu einem Konsulat herabzustufen. Auch die Gewerkschaft COSATU boykottiert Israel. Prominente Anti-Apartheid-Kämpfer*innen wie Desmond Tutu tragen zur Legitimität der Behauptung bei, Israel sei ein Apartheid-Regime. (Es gibt auch kritische Stimmen, siehe »Wir fordern das Wort Apartheid zurück!« von Nkululeko Nkosi in iz3w 359.)

Antisemi­tismus im südlichen Afrika wurde auf mehreren Wegen importiert

Der Antisemitismus im südlichen Afrika wurde auf mehreren Wegen importiert, durch Christentum, Islam und panafrikanische Bewegung. Diese Importe trafen auf eine Prädisposition durch Hexereivorstellungen, Verschwörungsmythologien und Machtstrukturen, die den Antisemitismus begünstigen. Besonders in Südafrika erfüllt er die Funktion eines gesellschaftlichen Kitts: Der ANC wurde einst durch die Feindschaft zum Rassismus der Apartheid zusammengeschweißt. Seine drohende Spaltung kann er verzögern, indem er einen »Ersatz« für diesen Gegner anbietet – solange der Kampf gegen den »Apartheidstaat Israel« weitergeht, lassen sich innere Konflikte in Südafrika verdrängen.

Wie für BDS-Anhänger*innen in den USA oder Großbritannien bedeutet es auch für südafrikanische Boykotteur*innen kein großes akademisches oder ökonomisches Opfer, auf israelische Wissenschaftler*innen zu verzichten, deren Produkte sie bei Bedarf immer noch erwerben können. Antisemitismus bedeutet risikolosen Kampf gegen einen »imaginary foe« (Leo Löwenthal), gegen jenen eingebildeten Feind, den die völlig geschichtslose Täter und Opfer verkehrende Fantasie vom »Apartheidstaat Israel« anbietet. Solange das, wie im Fall des in Südafrika lebenden postkolonialen Philosophen Achille Mbembe, als legitimer Teil des wissenschaftlichen Diskurses durchgeht, besteht die Gefahr, dass sich diese Ideologie über Südafrika hinaus im subsaharischen Afrika ausbreitet.

Felix Riedel ist Ethnologe mit dem Schwerpunkt Gewaltanthropologie und freiberuflicher Referent für politische Bildung.

 

 

INFOKASTEN

Die Ethnologie verschließt die Augen

Forschungen zur Verbreitung antisemitischer Ideen in afrikanischen Gesellschaften existieren praktisch nicht. Das hat zum Teil mit dem allgemeinen, rassistischen Desinteresse für den Kontinent zu tun, hat aber seine Ursache auch im Fehlen hinreichender politischer Bildung der Afrikanistik und der Ethnologie zum Thema Antisemitismus und Israel. In der Fachliteratur finden sich allenfalls Anekdoten ohne entsprechende Theoretisierung oder Kontextualisierung.

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Die wenigen vorhandenen empirischen Datensätze bestehen aus standardisierten Fragen in den Studien des US-amerikanischen Sozialforschungsinstituts PEW zum globalen Antisemitismus. Hier sticht im Jahr 2008 Südafrika hervor: 46 Prozent der Befragten sahen Jüdinnen und Juden als negativ an. In ähnlicher Weise arbeitete die Anti-Defamation League Fragen ab. Das Problem von solchen Standardfragen (z.B. »Juden haben zu viel Einfluss auf die US-Regierung«) ist, dass sie ein Verständnis der jeweiligen Fragestellung voraussetzen, eine profunde Meinungsbildung und eine politische Kultur, in der Menschen überhaupt das Setting der Umfrage verstehen und angstfrei antworten können. Das ist aufgrund von strukturellen Bildungsnachteilen und autoritären Verhältnissen nicht überall gegeben.

Ein ethisches Problem ist, dass solche Fragen vormals womöglich unbekannte Ressentiments erst in die Köpfe junger Menschen setzen. Sie wirken normativ. Darüber hinaus liefern sie keine Erklärung, warum es in den entsprechenden Staaten Zustimmung zu antisemitischen Aussagen gibt. So schneidet laut Anti-Defamation League Senegal mit 53 Prozent Indexwert noch schlechter ab als Südafrika. Während hier aber nur 15 Prozent der Aussage zustimmen, Juden und Jüdinnen würden zu viel über den Holocaust sprechen, stimmen 65 Prozent der Aussage zu, Jüdinnen und Juden seien wegen ihres Verhaltens unbeliebt. Warum, bleibt unklar. Ausgerechnet Uganda wurde nicht befragt. Solange in der afrikanischen Ethnologie kein dezidiertes Interesse an Antisemitismusforschung entsteht, kann über die reale Verbreitung daher nur indirekt anhand sporadischer Meldungen gemutmaßt werden.   fr

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