»Provenienz ist nichts Ein­deutiges oder gar Offen­sichtliches«

Fehlender Umgang mit Raubgütern aus kolonialer Herrschaft

Audiobeitrag von Florian Laurösch

26.01.2023
Teil des Dossiers Restitution

Die Kolonie Deutsch-Ostafrika umfasste bis 1918 auch das heutige Staatsgebiet des Landes Burundi. Während der deutschen Kolonialherrschaft wurden aus der Region viele Objekte entwendet und in den globalen Norden verschafft. Die Debatte um Rückführung kolonialen Raubguts und einer Entschädigung betrifft damit auch Kulturgut aus Burundi. Allerdings steht das Bemühen um eine Restitution hier noch am Anfang. Wer über Restitution nachdenkt und an welcher Stelle der Prozess zu mehr Gerechtigkeit beginnen kann, darüber hat der südnordfunk mit dem burundischen Juristen und Wissenschaftler Nyonkuru Aimé-Parfait gesprochen.

 

Shownotes


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 3. Januar 2023 im südnordfunk # 104 bei Radio Dreyeckland | Autorin: Florian Laurösch

Nyonkuru Aimé-Parfait: Die Debatte über die kulturellen Güter oder andere Kunstwerke, die illegalerweise von den deutschen Besatzern aus Burundi gestohlen wurden, fügt sich in die global geführte Debatte um Restitution ein, die in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren Fahrt aufgenommen hat. Ich möchte nochmal in Erinnerung rufen, dass Burundi von 1886 bis 1916 durch Deutschland besetzt wurde. Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg und das Besiegen der Deutschen wurde Burundi von 1916 bis 1962 durch Belgien besetzt. Während der Besatzung der ursprünglich durch die Deutschen kolonisierten Gebiete gab es illegale Aneignungen und Exporte kultureller Objekte, Kunstwerke und menschlicher Überreste unter Anwendung von Gewalt und Hinterhalt seitens der Kolonialmächte. Das ist relevant für Burundi. Diese Objekte wurden erst von Deutschland und dann von Belgien entwendet.

Wir konnten kürzlich feststellen, dass es in den Freiburger Museen Kunstwerke burundischen Ursprungs gibt. Das Problem ist jedoch, dass diese Güter bisher noch nicht identifiziert und verzeichnet wurden, wodurch eine Voraussetzung für eine Restitution schlicht fehlt. Die Restitution geht von einer Identifikation sowie von ihrem Verzeichnis aus. Diese Arbeit wurde zu diesem Zeitpunkt in der Debatte (im Oktober 2022 A.d.R.) um mögliche Restitutionen noch gar nicht gemacht.

Sprecher: Eine Kommission der Regierung Burundis forderte 2020 eine öffentliche Entschuldigung und finanzielle Entschädigungen für das Unrecht unter der deutsch-belgischen Kolonialherrschaft. Von 1886 bis 1962 war Burundi für 20 Jahre zunächst unter deutschem Protektorat. Nach dem ersten Weltkrieg folgte die Besatzung und daran anschließend die Treuhandschaft Belgiens im Namen der der Vereinten Nationen. Neben Gräueltaten, Extraktivismus und Gewaltherrschaft wurden kulturelle Objekte aus Burundi nach Deutschland und Belgien gebracht. Einige liegen bis heute in Deutschen Museen. Der burundische Jurist und Aktivist Dr. Nyonkuru Aimé-Parfait von der Université Paris Nanterre lehrt und forscht vom Arnold-Bergsträsser Institut aus in Freiburg und Paris. In Deutschland ist die Debatte um den Umgang mit Raubgütern aus kolonialer Herrschaft im heutigen Staatsgebiet Burundis kaum vorhanden. Auch in Burundi selbst hüllt sich Schweigen um die Raubkunst.

Nyonkuru Aimé-Parfait: Ich bin leider nicht in die Geheimnisse der Götter eingeweiht, um zu wissen, warum noch nicht über Restitution gesprochen wird. Alles, was ich machen kann, ist Hypothesen aufstellen. Zunächst stelle ich fest, dass insbesondere in der Politik eine Debatte darüber fehlt. Die Frage nach der Restitution kann nicht ohne die Initiative der Politiker*innen gelingen. Sie müssen die bilaterale Verhandlungen führen, um eine eindeutige Lösung zu finden. Ein Beispiel dafür sind die Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia zum Genozid an den Herero und Nama. Die beiden Länder verhandelten eine Lösung, die eine finanzielle Entschädigung in Höhe von etwa einer Milliarden Euro für Namibia bedeutete.

Ich denke, im Falle Burundis ist das Problem, dass die politischen Prioritäten aus Sicht der aktuellen Regierung Burundis woanders liegen. Die Frage nach Restitution besetzt momentan keinen besonderen Platz auf der Prioritätenliste. Das kann man im öffentlichen Diskurs und in den Medien auch beobachten: Die Debatte um Restitution in Burundi ist nahezu nicht vorhanden.

Die burundische Öffentlichkeit ist vielmehr mit existenzielleren Fragen beschäftigt, die sich im Alltag der Bevölkerung zeigen: Fragen rund um Kaufkraft, um Zugang zur Justiz und Arbeit. Da ist das Interesse an einer Restitution gestohlener Güter im burundischen Alltag keine Herzensangelegenheit. Das, was zählt ist die Verbesserung der Alltagssituation. Zudem ist die Bevölkerung allgemein über die Wichtigkeit und die politische Dimension dieser kulturellen Güter schlecht informiert und fühlt sich somit nicht wirklich betroffen. Ich denke, andere Länder, die Restitution fordern, machen das nicht unbedingt, um wirtschaftliche Vorteile zu genießen. Natürlich gibt es diesen ökonomischen Wert, aber die Objekte haben auch einen historischen, kulturellen und erinnerungspolitischen Wert sowie einen Wert, der Wahrheit bringt. Diese Debatten werden von Akademiker*innen vorangetrieben. Bemerkenswert daran ist auf jeden Fall, dass die burundischen Medien nicht über diese Fragen rund um Restitution sprechen.

»Die Objekte haben einen historischen, kulturellen und erinnerungs­politischen Wert sowie einen Wert, der Wahrheit bringt.«

2008 hat der Senatspräsident Burundis und heutiger Generalsekretär der Regierungs­partei, eine Reparations­forderung von 43 Millionen Dollar an Deutschland gestellt. Diese Forderung wurde aufgrund der Schäden während der Besatzung in Burundi Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts erhoben. Das ist ein Ausgangspunkt, jedoch haben wir keine Informationen über den derzeitigen Stand oder die Existenz von Verhandlungen, weder von deutscher noch von burundischer Seite. Möglicherweise finden diese ja in nicht-öffentlichen Bereichen statt. Vielleicht kann die Botschafterin Burundis da weiterhelfen.

Der Austausch mit Belgien ist hier etwas aktiver, da gibt es intensivere, bilaterale Diskussionen zwischen den beiden Staaten. Belgien hat im Zuge dieser Diskussion eine Sonderkommission beauftragt, die sich mit den Konsequenzen der Kolonialzeit und der Restitution kultureller Güter von Burundi, aber auch von Ruanda und dem Kongo beschäftigt. Zudem wurde ein Bericht veröffentlicht, der in Bezug auf die koloniale Vergangenheit drei Dinge vorschlägt: das Erarbeiten einer Erinnerungskultur, eine Versöhnung und Reparationen durch die Verwaltung aufgrund der Kolonialvergangenheit. Einen derartigen bilateralen Beschluss wie zwischen Belgien und Burundi gibt es zwischen Deutschland und Burundi noch nicht.

Sprecher: Wo zwischen Belgien und Burundi schon ein Dialog besteht, fehlt dieser Dialog in Deutschland komplett. Die Forderungen nach Reparationen bleibt ebenso unbeantwortet und unbearbeitet wie ein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Staaten. Wie ein solcher Prozess hin zur Restitution und Reparation aussehen kann, weiß niemand. Aimé-Parfait Nyonkuru skizziert einige Rahmenbedingungen.


Nyonkuru Aimé-Parfait: Meiner Meinung nach gibt es keinen einheitlichen Prozess und auch keinen einheitlichen Zugang. Wichtig ist, dass es Verhandlungen gibt entlang eines festen Terminkalenders in einem Prozess mit einzelnen Etappen, die jeweils zu Beschlüssen führen, mit denen beide Parteien einverstanden sind. Wir haben es nämlich mit zwei souveränen unabhängig Staaten zu tun. Essenziell ist, dass beide Parteien die Verhandlung und endgültige Lösung des kolonialen Konflikts im Blick behalten. Wie es dann verläuft, hängt von der Bereitschaft der beteiligten Parteien und den Vorschlägen einer Expert*innenkommission ab. Ich habe keine Lösung parat, die ich einfach so aus dem Hut zücken kann und sagen kann: So machen wir’s. Denn der Zugang, der in einem Fall geklappt hat, ist nicht zwingend der richtige für einen anderen Fall. Die Art, wie Belgien mit Burundi im Austausch steht, muss nicht unbedingt für Deutschland passen. Der Beschluss für die Anerkennung und Reparation des Völkermordes an den Herero und den Nama ist nicht automatisch geeignet für Burundi. Weil es für Deutschland im Fall Burundis nicht um einen Genozid geht.

Es geht doch um eine Frage: Was ist eine nachhaltige Lösung? Und die muss von Expert*innen untersucht werden. Auf der einen Seite muss eine Lösung mit dem internationalen Recht vereinbar sein und auf der anderen Seite mit dem Recht der beiden Länder und ihrer Bevölkerung. Wenn man beide Rechtsformen in Einklang bringt, kann eine nachhaltige Lösung gefunden werden. Ich bezweifle nicht, dass eine nachhaltige Lösung gefunden werden kann, sobald sich beide Staaten ohne Ausflüchte zusammensetzen, um zu diskutieren. Das ist der Weg, wie internationale Differenzen überwunden werden können. Es gibt keine anderen Mittel. Eine pazifistische Lösung der Konflikte ist durch internationales Recht und Praxis vorgeschrieben und beinhaltet das Verhandeln und Schlichten mit guten Absichten. All das fällt zurück auf Ihre Frage: Wie vorgehen? Es gibt nicht die eine Antwort, aber es kommt auf den Willen der Staaten an und den Teams, die sie bereitstellen, um herauszufinden, welcher Ansatz passend ist.

Sprecher: Ansätze hin zu einer Erforschung der Herkunft von Objekten aus ethnologischen Sammlungen in Deutschland liefert diese systematische juristische Perspektive. Warum es trotz vieler Schwierigkeiten essenziell ist, die Objekte zurückzuführen, beantwortet Aimé-Parfait sowohl aus professioneller wie emotionaler Perspektive.

Nyonkuru Aimé-Parfait: Als Jurist und Mensch aus Burundi bin ich zuallererst einmal bewegt. Und ich setze mich als Burundier dafür ein, dass ein gestohlenes Objekt auch zum burundischen Volk zurückgebracht werden kann. Seine Geschichte, seine Bedeutung, seine Symbolik ist auf intimste Weise mit der burundischen Bevölkerung verbunden. Ehrlich gesagt hat dieses Kunstwerk keine besondere Bedeutung für Deutschland, außer die Museen zu schmücken und Besucher*innen zu unterhalten. Es gibt keine wesentliche Bedeutung, die dieses Objekt an die deutsche Geschichte binden.

»Was mich antreibt ist ein Gefühl, dass es immer noch sehr viele Objekte gibt, die noch nicht identifiziert wurden, die sich in Privatsammlungen und Haushalten befinden und anschließend mehrere Male weiterverkauft wurden.«

Nyonkuru Aimé-Parfait, burundischer Juist und Wissenschaftler

Zweitens fühle ich und weiß ich um die Notwendigkeit einer Debatte, nicht etwa über genau dieses Objekt, aber über die Gesamtheit der Objekte, die illegalerweise das Staatsgebiet Burundis verlassen haben, im Hinblick auf ihre Rückführung und der Reparation für die burundische Bevölkerung während der Besatzung. Ich persönlich lege mein Augenmerk nicht direkt auf einen finanziellen Wert des Objekts, aber vielmehr auf seine Symbolik. Was mich antreibt ist ein Gefühl, dass es immer noch sehr viele Objekte gibt, die noch nicht identifiziert wurden, die sich in Privatsammlungen und Haushalten befinden und anschließend mehrere Male weiterverkauft wurden. Die ganze Problematik besteht darin, sie zu identifizieren. Denn diese Güter können gefunden und identifiziert werden, und zwar nicht unbedingt in öffentlichen Museen, sondern in privaten Sammlungen. Genau, das ist es, was ich sagen kann, wenn ich mich vor einem gestohlenen Kunst- oder Kulturobjekt befinde, von dem ich weiß, dass es aus Burundi ist.

Provenienz ist nichts Eindeutiges oder gar Offensichtliches. Es wie bei einem Erz: Man braucht eine gewisse lückenlose Überprüfbarkeit der Herkunft. Das ist keine einfache Angelegenheit, wie es manche vielleicht denken.

Sprecher: Herkunftsforschung oder auch Provenienzforschung bleibt der zentrale Ausgangspunkt. Schmerzliche Gefühle beim Betrachten der Objekte in deutschen Museen und der symbolische Wert der Artefakte verdeutlichen die Bedeutung der Restitution für die Folgegenerationen der burundischen Bevölkerung.

Der Radioredakteur Florian Laurösch musste bei seinen Recherchen zur Frage der Restitution von Kulturgut aus Burundi feststellen, wie wenig dieses Gebiet auf deutsche Seite beforscht wurde.

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