Kein anderer Krieg
Rezensiert von Patrick Helber
29.04.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 402
In der historischen Forschung zum Zweiten Weltkrieg rückten in den vergangenen Jahren zunehmend auch die Ereignisse im Globalen Süden stärker in den Fokus. So hatte etwa der Historiker Dan Diner in seinem Buch »Ein anderer Krieg« 2021 (iz3w 386) den Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive der jüdischen Bevölkerung Palästinas analysiert.
Sabine Küntzel wiederum stellt in ihrer Arbeit Kolonialismus im Krieg die deutschen Täter im Nordafrikafeldzug in den Fokus. Sie formuliert die These, dass »Verflechtungen kolonialer und nationalsozialistischer Formen der Herabsetzung, Ausgrenzung, Verfolgung und Gewalt aufgrund der Fokussierung auf die Singularität des Holocausts und die Sonderstellung des Nationalsozialismus in der deutschen Erinnerungskultur lange Zeit marginalisiert« waren. Ihre qualitative Auswertung analysiert ausgehend von Feldpost, Tagebüchern, Propagandafotos, Zeichnungen, der Feldzeitung Oase und der kolonialrevisionistischen Jugendzeitschrift Jambo die kolonial-rassistischen Vorstellungen in den Köpfen der Wehrmachtsoldaten. Viele »verstanden sich selbst als in der Tradition der Kolonialkrieger stehend« und konnten sich vorstellen, ihr Einsatzgebiet später zu besiedeln: »Vor 23 Jahren mussten wir gehen, heute sind wir wiedergekommen, um kämpfend einzuholen, um was man uns betrog«, stand am 19. März 1941 in der Oase.
Küntzel analysiert die kolonial-rassistischen Vorstellungen der Wehrmachtsoldaten
Darüber hinaus zeigt Küntzel, dass der Mythos des »,Wüstenkriegs‘ als fairer Kampf ohne jeglichen Ideologiebezug als ahistorisch« bezeichnet werden muss und selbst Teil einer kolonialen Raumvorstellung ist. So wurden die rassistische Gewalt gegenüber Kriegsgefangenen of Color der französischen, australischen, indischen oder südafrikanischen Einheiten und die Opfer unter der Zivilbevölkerung unsichtbar gemacht. Ebenfalls geriet die tödliche antisemitische Politik der Achsenmächte, der 5.000 nordafrikanische Juden und Jüdinnen zum Opfer fielen, aus dem Fokus. Bei einem Sieg des Deutschen Afrikakorps in der Schlacht von El Alamein, wäre den Truppen Erwin Rommels das Einsatzkommando Walter Rauff gefolgt, um die jüdische Bevölkerung Palästinas systematisch zu ermorden. Küntzels Buch korrigiert das Bild des ‚sauberen‘ Kriegs der Wehrmacht in Nordafrika. Es leistet einen fundierten und spannenden Beitrag zur Verflechtungsgeschichte von Nationalsozialismus und Kolonialismus, gerade weil die dortigen Verbrechen der Wehrmacht wie die der deutschen ‚Schutztruppen‘ in West- und Ostafrika lange dem kollektiven Gedächtnisverlust unterlagen.