Same procedure as every year?
Warum auf den Weltklimagipfeln alle verhandeln und die Temperaturen dennoch steigen
Es fehlt ein Fahrplan für den Ausstieg aus fossilen Energien wie Gas, Kohle und Erdöl. Daher werden alle anderen Bemühungen im Umgang mit der Klimakrise ständig in fatalem Maße torpediert. Für Millionen Menschen bleibt die Klimakrise eine tödliche Gefahr, vor allem im Globalen Süden. Was ist vom Weltklimagipfel zu erwarten?
28 Jahre lang währt die Hängepartie der internationalen Klimadiplomatie nun bereits schon. Und vor jedem Weltklimagipfel wird sie erneut mit Hoffnung aufgeladen. Um das gefährliche Schneckentempo real wirksamer Klimapolitik zu verharmlosen und zugleich Handlungswillen zu demonstrieren, verfallen viele Mitgliedstaaten vor jeder Gipfeleröffnung erneut in eine Es-ist-Fünf-vor-Zwölf-Stimmung, ganz nach der Devise: Ja, es drängt, doch es ist noch nicht zu spät. Am Ende werden neue Absichten gefeiert.
So war es in Glasgow 2021, als die Teilnehmer*innen die Absicht erklärten, die Kohleverbrennung lediglich herunterfahren zu wollen, statt ein baldiges Ende der fossilen Energieträger zu beschließen. So war es in Sharm-el-Sheik, als beschlossen wurde, künftig einen Fonds für Verluste und Schäden (Loss & Damage) einzurichten und dafür Regeln zu verhandeln, statt in den Notfallmodus umzuschalten und umfassende Budgets für Klimaschutz, Klimaanpassung sowie direkt Soforthilfe für Klimaopfer bereitzustellen. Konkrete Vorschläge dafür gab es: Barbados Premierministerin Mia Mottley wollte mit einer Katastrophenklausel einkommensschwache Länder entlasten, die aktuell ihre knappen Staatsbudgets dafür verwenden, Schulden abzustottern, statt das Geld für lebensrettende Vorsorge und Hilfe ausgeben*. Mit einer Katastrophenklausel in laufenden Kreditverträgen sollten verschuldete Länder direkt liquide werden, indem ihr Schuldendienst im Katastrophenfall umgehend gestundet und das freiwerdende Geld sofort für die Nothilfe eingesetzt werden kann.
Ob Anpassung, Klimaschutz oder Emissionsvermeidung: Alles läuft in die falsche Richtung
Aus Sicht der am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder hat es 30 Jahre gedauert, Loss & Damage als eines der Kernthemen der globalen Klimapolitik zu etablieren. Nun steht es in Dubai wieder auf der Agenda, da die Regeln der Vergabe des Budgets noch nicht geklärt sind und weiter ausgehandelt werden müssen. Noch ist der Fonds abgesehen von ein paar Vorversprechen quasi leer. Existent ist der Klimafonds, aus dem Projekte zum Klimaschutz und für die Anpassung an den Klimawandel finanziert werden. Doch auch hier klaffen Lücken. Erst im November rechnete das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in seinem Adaption Gap Report 2023 vor, wie stark unterfinanziert und unvorbereitet die Welt auf den Klimawandel ist*. Zudem wird das Geld aus diesem Fonds oft als Kredit statt als zinsfreier Zuschuss vergeben. Insbesondere bei der Finanzierung von Klimaschutz trifft das zu. Zudem flossen große Summen aus dem Fonds in Projekte, die weder dem Klimaschutz noch der Anpassung dienen*.
Indes nimmt die Menge emittierter Treibhausgase weiter zu, dieses Jahr um rund ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aktuell steuert die Welt auf eine deutlich höhere Erwärmung zu als in Paris 2015 vereinbart. *Ständig wurden in der vergangenen Dekade feste Klimaschutzzusagen viel zu zögerlich getätigt, dafür aber seit 2022 eine neue Gasinfrastruktur unterstützt und so weitere vermeidbare Emissionen zugelassen. Ob Anpassung, Klimaschutz oder Emissionsvermeidung: Alles läuft in die falsche Richtung.
Gut im Absichten erklären
Klimaanpassung, Klimaschutz und der Fonds für schon heute nicht mehr vermeidbare Verluste und Schäden – das sind in der aktuellen internationalen Klimapolitik die drei Ebenen, an denen sich die Frage nach der historischen Schuld für die Klimakrise und das Ringen um mögliche Strategien manifestieren, weitere Krisen abzuwenden. So wichtig eine verbindliche und vorausschauende Planung für ein zukünftiges Drosseln und Vermeiden von Klimagasen ist, um das große Netto-Null-Ziel* zu verwirklichen, so wirkungslos sind die besten Absichten für die Jetztzeit. Gletscher warten nicht, bis die Emissionen in vielleicht zwei bis drei Jahrzehnten stagnieren und die Welt klimaneutral wird. Insofern ist es nicht erstaunlich, sondern erwartbar, dass eine Klimakatastrophen-Meldungen die nächste überholt: Die Ozeane waren noch nie so warm, das Schelfeis ist noch nie so schnell geschmolzen, der September war mit 1,44 Grad über Normal noch nie so heiß wie in diesem Jahr. Noch nie gab es so viele Brände, noch nie so viel Hitze. 2023 ist ein neues Klimawandel-Rekordjahr.
Eigentlich sollten die Mitgliedstaaten des Pariser Klimaabkommens eine Art Emissions-Abrüstungsnotfallplan erarbeiten – in kollektiver Anstrengung für die Gesundheit des einen Planeten*. Seit verstärkt erst die Kohle-, und nun die Erdöl- und Gaslobby auf der Weltklimakonferenz präsent sind, dealen die Staaten eher über ihr Recht, möglichst lange nicht Verzichten oder möglichst viel Atmosphäre verschmutzen zu dürfen (als Beispiel sei die viel kritisierte Ausgestaltung des Handels mit Emissionszertifikaten erwähnt*). Da jedoch alle Regierungen von Klimaschutz und Klimafinanzierung reden, fällt es kaum auf, dass sich die Verhandlungstaktik bislang mehr um Verschmutzungsrechte statt um Schutzpflichten drehte.
Das Verhandeln des Klimas ist ein Bieten und Billigen, am Ende wollen alle Regierungen gestärkt aus dem Gipfel nach Hause gehen. Dabei geben sich europäische Länder, allen voran Deutschland, als großzügige Exporteure sauberer Technologie. Mehr noch als die Notwendigkeit, Emissionen im globalen Ausmaß jetzt zu senken, haben viele staatliche Klimaschutzinitiativen künftige Märkte und wirtschaftliches Wachstum im Blick. Dann gibt es noch kleine, aber unzureichende Nettigkeiten in Form finanzieller Gaben in den grünen Klimafonds für die einkommensschwachen und verwundbaren Länder, die ihren Beitrag zum Klimaschutz und die lebensrettende Anpassung ohne eine Finanzstütze nicht stemmen können*.
Bieten und Billigen
Die wohlhabenden Länder zeigen sich gerne als gutwillige Geber, sind aber schlecht im Verzicht, wenn es um die eigene Verschmutzung geht. Sie inszenieren sich als leistungsfähig und spendabel. Die Idee eines globalen Schutzschildes auf der Grundlage von Klimaversicherungen, wie sie Deutschland in die Debatte über Verluste und Schäden eingebracht hatte, ist ein Beispiel für attraktiv klingende Angebote. Doch warum sollten sich die Hauptbetroffenen im Globalen Süden gegen einen Schaden versichern, den ihnen andere zugefügt haben? Und dafür langfristig auch noch zahlen, wenn die Prämien steigen, weil die Schadensfälle mit dem Klimawandel immer häufiger eintreten? Angesichts ihres historischen wie aktuellen Beitrags zur Erderwärmung wären die Verursachenden und nicht die Schadensträger*innen hier zur Kasse zu bitten.
Ein anderes Beispiel sind Transitionspartnerschaften, wie sie mit Südafrika auf der COP 26 und mit Indonesien auf der COP 27 geschlossen wurden. Das proklamierte Ziel lautet, dort den kohlebasierten Energiesektor in einen weniger klimaschädlichen zu überführen*. Projekte für erneuerbare Energiegewinnung für ein alternatives grünes Energieangebot stehen im Vordergrund, nicht etwa Energieeffizienz oder direkte Einsparungen durch das zeitnahe Abschalten der Kohlekraftwerke. Deutsche Entwicklungsgelder fließen in Projekte, die das Ziel verfolgen, mit Unternehmenspartnerschaften in Brasilien, Südafrika, Marokko, Algerien oder Tunesien Märkte für grünen Wasserstoff aufzubauen. Sicher ist grüner Wasserstoff besser als fossiles Gas aus Fracking. Doch auch beim Wasserstoff wird der europäische Importmarkt anvisiert und Emissionen werden kleingerechnet. Klimaneutral ist das nicht.*
Kernthemen der Weltklimakonferenz COP 28 und Hebel gegen die Klimakrise
»Der Klimagipfel wird uns keinen seismischen, transformativen Systemwechsel bescheren«Interview mit Kumi Naidoo
Wenn das Meer kommt, das Salz und der KlimawandelEine Fischergemeinde an der Westküste Ghanas kämpft mit der Küstenerosion und der Untätigkeit der Politik
Dies sind nur drei von vielen Ansätzen aus dem Werkzeugkasten der Klimastrateg*innen. Die Programme sorgen zwar punktuell für ein neues Angebot an grüner Energie, ein Solarpark hier, ein Windpark dort, eine mit Fördergeldern vorfinanzierte Klimaversicherung für arme Bäuerinnen in einem ausgewählten Pilotprojekt. Vor allem aber lenken diese Initiativen von den eigenen Versäumnissen der stark emittierenden wohlhabenden Industrienationen ab. Die Ergebnisse vieler internationaler Klimaprojekte sind je nach Ausführung mehr oder weniger wertvoll für den Schutz des Klimas, die wenigsten drosseln die Emissionen merklich, trotz schöner grüner Energiealternativen. Denn die damit potenziell eingesparten Emissionen eines in die Zukunft prognostizierten Nichtverbrauchs fossiler Brennstoffe werden von der bestehenden und keineswegs schrumpfenden fossilen Energiewirtschaft ständig torpediert, die erhoffte Wirkung für das Klima wieder zunichtegemacht. Zwar boomen weltweit die Erneuerbaren Energien. Dennoch liefern fossile Energieträger 2022 laut dem »Statistical Review of World Energy« immer noch 82 Prozent der Energie. Im vergangenen Jahr wurde der weltweite Energiemix wieder etwas dreckiger.
Einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge wurden im vergangenen Jahr weltweit sieben Billionen US-Dollar in Subventionen für fossile Energien gesteckt. Auch Deutschland hat dafür mehr ausgegeben als für klimafreundliche Energien: 16 Milliarden Euro klimaschädliche Subventionen fließen jährlich in den fossilen Sektor, davon zehn Milliarden als Entlastung in den nationalen und europäischen Emissionshandel. Dieser Summe stehen gerade einmal 2,8 Milliarden Euro an Fördermitteln für mehr Klimaschutz in der Industrie gegenüber, so eine von Greenpeace veranlasste Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS)*. Auf diese Weise wird die ökologische Modernisierung ständig verteuert und blockiert.
Verblendende Klimapolitik
Der extraktivistische Fokus auf die Verwertbarkeit von Ressourcen und Rohstoffen wie Nickel, Lithium, Kobalt, Kupfer sowie Seltenen Erden für die Energiewende und für die erhoffte Dekarbonisierung der Wirtschaft dominiert viele politische Entscheidungen. Indes wird ein sozialer Fokus auf Fragen der Gerechtigkeit im Umgang mit der akuten Klimakrise eher zweitrangig behandelt. Das zeigt sich daran, dass Programme für den Export erneuerbarer Energiegewinnung, von grünem Wasserstoff bis zu modernen Windkraftanlagen, attraktiver erscheinen als Programme für diejenigen, die schon jetzt Ernten, Häuser und Existenzen verlieren. Es zeigt sich auch am Hype für Hochtechnologie insbesondere von fossilen Schwergewichten wie den dieses Jahr gastgebenden Arabischen Emiraten. Verhandlungsbereiche, die sich mit den sozialen Kosten der Klimakrise auseinandersetzten und von den potenziell stärker betroffenen Ländern des Globalen Südens sowie der Klimabewegung stark gefordert werden, empfinden wohlhabende Länder hingegen eher als unangenehmer Ballast.
Die wohlhabenden Länder zeigen sich gerne als gutwillige Geber, sind aber schlecht im Verzicht, wenn es um die eigene Verschmutzung geht
Die Energielobby vertritt unter anderem das Narrativ, dass es nicht weniger Fossile brauche, sondern weniger Emissionen in der fossilbasierten Wirtschaft. Auch der diesjährige COP-Chef Al Jaber reitet dieses Pferd. Damit wird das Tor für die als CCS bezeichnete CO2-Abscheidung geöffnet, eine technologische Kohlenstoffspeicherung, die noch in den Kinderschuhen steckt und extrem teuer ist. CSS (Carbon Capture and Storage) als Klimaschutz zu labeln bedeutet weitgehend, fossile Energie zu verbrennen und in die Atmosphäre zu emittieren, um sie dann wieder einzufangen. Verknüpft wird damit die Illusion: Selbst, wenn wir mehr emittieren als wir zur Einhaltung der 1,5 Grad Erwärmung eigentlich dürfen, ist das nur halb so schlimm, denn wir holen den Dreck anschließend wieder aus der Atmosphäre. Über die Konditionen, um einmal ausgestoßene Klimagase wieder einzufangen – bisherige Modelle sind aufwändig und teuer – sprechen die Verfechter*innen ungern. Technologieoffenheit und Innovation sind die sich liberal gebenden Befürworter*innen von CCS. Die Gefahr: Fossile Geschäftsmodelle könnten damit zementiert werden, ohne die tatsächlich nötigen Emissionsminderungen für eine Klimastabilisierung bei einer 1,5 Grad Erwärmung zu verwirklichen.
Trostpflaster verteilen hier, kleine Angebote dort, Absichtserklärungen auf Papier, dazu das ständige In-die-Zukunft-Vertagen des dringend gebotenen Beschlusses zum Ausstiegs aus Erdöl, Gas und Kohle: All das sorgt dafür, den Motor der Klimaerhitzung noch eine Weile am Qualmen zu halten. Sicher braucht es kluge Lösungen, um die Industrie zu bewegen, die Wende gerecht zu gestalten und das vielfach verbriefte Recht auf eine nachhaltige Entwicklung aller Länder, die über Jahrhunderte ausgebeutet wurden, nicht zu übergehen. Und das schon deshalb, weil die bislang ohne jeden Strom lebenden 1,4 Milliarden Menschen einen Zugang dringend brauchen. Doch insgesamt kommt das Nichtstun in Sachen Emissionsminderung einer Fahrlässigkeit gleich, einer Unterlassung lebensrettenden Handelns. 2022 wurden rund 32,6 Millionen Personen wegen Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen in ihren Ländern vertrieben. Nahezu alle Vertreibungen (98 Prozent) fanden aufgrund von Überschwemmungen, Stürmen und Waldbränden statt, nur zwei Prozent infolge von Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen. Während Klimaopfer insbesondere nach Starkregen, Fluten und Bränden beklagt werden, sterben die Menschen an der Hitze eher leise. Tatsächlich ist Hitze in den meisten Jahren mit knapp einer halben Million Opfern die tödlichste Katastrophe.
Die Kosten des selektiven Nichthandelns
Dabei ist eigentlich klar, dass Trostpflaster und Absichtserklärungen alleine dem Planeten und denen, die von der steigenden Erderwärmung längst lebensbedrohlich betroffen sind, aus der akuten Lage nicht heraushelfen. Auch wartet kein Schelfeis darauf, dass die Emissionen möglicherweise ab 2050 sinken sollen. Einmal zerstörte Regenwälder sind durch Aufforstungen von Plantagen nicht zu ersetzen. Und die Mutantenvielfalt von Infektionskrankheiten, die bedingt durch den Klimawandel zunimmt und die Gesundheit vor allem prekär wohnender Personen stark gefährdet, ersetzt nicht den Artenschwund. Bis zum Jahr 2030 wird es jährlich etwa 250.000 zusätzliche Todesfälle geben – zurückzuführen auf durch die Klimakrisen bedingte Unterernährung, Malaria, Durchfall und Hitzestress. Die sozialen und humanitären Tragödien im Zuge der Erderwärmung sind, im Unterschied zu den rein klimatischen Ereignissen, nicht alleine den Extremwettern zuzuschreiben. Die verheerende Flut in Libyen nach dem Dammbruch, die von Starkfluten weggespülten Häuser in prekären Wohngebieten und Slums am Rande der Metropolen oder die infolge starker Hitzewellen Verstorbenen – all das hat mit Verwundbarkeit einer Gesellschaft zu tun. Je fragiler die Infrastruktur, je schwächer die sozialen Sicherungssysteme, je weniger wohlhabend eine Gesellschaft ist, desto verletzlicher sind ihre Mitglieder. Armut und nicht gewährte Menschenrechte verschlimmern die Klimakrise. Ohne dicken Geldbeutel und starken Pass ist Klimaflucht sicher kein Ausweg und bietet keine Perspektive auf ein gutes Leben.
Das Schneckentempo, mit dem die Mitgliedstaaten des Pariser Klimaabkommens wirksame Strategien im Umgang mit der Klimakrise bisher verhandelt haben, wird von der etablierten Klimapolitik vornehmlich der Blockade der fossilen Großemittenten zugeschrieben: Saudi-Arabien, China, den USA. Oder es müssen die aktuellen multiplen Krisen wie Krieg, Energiekrise, Migrationsbewegungen oder Finanzkrisen als Sündenbock herhalten. Immer mehr Menschen wenden sich frustriert von der Klimapolitik ab, kapitulieren und feiern im YOLO (»you only live once«)-Format ihr Leben und ihren Black Friday-Konsum. Weil Generationengerechtigkeit gerade verwirkt wird, weil die Reichen mit ihren Privatjets nicht zurückschrauben. Zu viele Menschen konsumieren klimaschädigend, wohl wissend, dass privater Verzicht keine Lösung sein kann und enttäuscht darüber, dass nicht einmal das 49 Euro Ticket drin ist.
Das große Klimanotfallleugnen
Währenddessen verdrängen zahlreiche Regierungen sowie neoliberale Wirtschaftsakteure und alle, die ein weiteres Mal schnelles Handeln blockieren, offenbar das Ausmaß der Klimafolgen, die schon bei 1,5 Grad Erderwärmung zu erwarten sind. Eine milde, aber nicht weniger gefährliche Form des Klimanotfallleugnens.
Das große Netto-Null-Ziel bedeutet eben nicht, dass die schon jetzt spürbare Erderwärmung von gut 1,2 Grad nicht auch weiterhin zu massiven Katastrophen führen wird. Schließlich wird die Erwärmung mit Netto-Null nicht einfach sinken. Dafür müssten Klimagase wieder eingefangen werden, in Grasländern, Wäldern, Humusschichten und Ozeanen. Es braucht dafür also negative Emissionen und sehr lange Zeiträume. Doch noch bewegt sich die träge Klimapolitik in die falsche Richtung. Der Ausstoß an Treibhausgasen steigt weltweit weiter (2023 um ein Prozent), die weltweite Kohleförderung wuchs im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf einen Rekordwert. Wird das Netto-Null-Ziel bis 2050 realisiert, so wird sich das Klima mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit bei zwei Grad (oder mehr) einpendeln. Jede Tonne CO2, die in die Atmosphäre unseres Planeten entlassen wird, jedes Zehntel Grad Erwärmung erfordert also erhöhte Kraftanstrengungen, sie wieder loszuwerden. Und viele durch sie verursachte Verheerungen sind nicht wieder rückgängig zu machen. Zudem bräuchte es hohe Budgets, um die durch die Erwärmung beschleunigten humanitären Katastrophen irgendwie zu verwalten – oder es kommt ein Leiden und Sterben bisher unbekannten Ausmaßes.
Gute Aussichten auf einen dauerhaften Krisenverwaltungsmodus
Die Warnung vor klimatischen Kipppunkten ist nicht neu. Gemeint ist der Zustand, in dem nicht vorhersagbare – also nicht kalkulierbare Prozesse einsetzen, die unumkehrbar sind. Auf der noch immer mit Volldampf verfolgten Rennstrecke hin zu diesen klimatischen Kipppunkten haben viele Gemeinden längst einen kritischen Zustand erreicht: Viele Menschen, die vom Klimawandel besonders hart betroffen sind, weil sie in Folge mehrere Ernten eingebüßt, mehrere Dürren oder Brände knapp überlebt aber ihre Existenzgrundlage verloren haben, vielleicht mehrmals umgezogen sind, haben keine Rücklagen mehr, leere Sparbücher, keinerlei Reserven, um die Folgen eines weiteren extremen Klimaereignisses zu managen. Ihre Regenerationskräfte sind erschöpft. Mit der nächsten Flut, Hitzewelle oder der mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Dürre, steht ihre Existenz erneut auf dem Spiel. Nicht Resilienz, sondern Verwundbarkeit sind ihre ständigen Begleiter, solange die Temperaturen steigen. Der Zeitpunkt ohne eine realistische Chance auf Regeneration ist für soziale Sicherungssysteme und humanitäre Nachsorge schwer zu definieren. Doch gerade auch soziale Kipppunkte sind gefährlich.
Zu viele Menschen konsumieren klimaschädigend, wohl wissend, dass privater Verzicht keine Lösung sein kann
Die von Oxfam identifizierten Klima-Krisenherde, also Regionen, in denen die Erderwärmung besonders heftige Folgen zeitigt, sind für lediglich 0,13 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich*. Die Länder befinden sich zugleich im unteren Drittel der Staaten, die am wenigsten auf die Klimakrise vorbereitet sind. Schon jetzt ist der humanitäre Bedarf weltweit doppelt so hoch wie vor zehn Jahren. Allein im Jahr 2022 lösten Katastrophen schätzungsweise 32,6 Millionen Binnenvertreibungen aus, meist aufgrund des Klimawandels. Stürme verursachten weltweit 19,2 Millionen Vertreibungen und Überschwemmungen nochmal gut neun Millionen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz stellt 2022 fest: Bis 2050 könnte der Klimawandel dazu führen, dass jährlich 200 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen, um aufgrund von Klima- und Wetterkatastrophen zu überleben. Selbst die Weltbank geht davon aus, dass aufgrund klimabedingter Umweltveränderungen bis zum Jahr 2050 etwa 150 Millionen Menschen binnenvertrieben werden.
Verglichen mit der Flucht vor bewaffneten Krisen und Kriegen scheint das nicht viel. Bisher schürt die nichtzutreffende Prognose eines Massenansturms von Umweltflüchtlingen auf reiche »Wohlstandsinseln« Ängste und stärkt reaktionäre Lager. Dennoch: Diejenigen, die auch aufgrund der Klimakrise migrieren und fliehen müssen, haben angesichts der sich verschärfenden Migrationspolitik kaum Perspektiven. Doch sie werden kommen, mit oder ohne verschärftem Asylbewerberleistungsgesetz. Die deutsche Diskussion um Klimapässe* für Personen, deren Land irgendwann unbewohnbar wird und im Ozean versinkt, gehen an der Realität völlig vorbei. Als Kontrollinstrument ignoriert der Vorschlag die Betroffenheit aller, deren Land noch nicht versunken ist, deren Existenz aber faktisch bedroht ist. Die Ambitionen, Länder wie Afghanistan, mehrere Maghrebstaaten, Gambia oder Pakistan als sichere Herkunftsländer zu labeln, ignoriert neben vielen anderen Faktoren die dortige Klimakrise.
All das sind zentrale Gründe für die vorprogrammierte Enttäuschung über den – für das Klima vermutlich nicht besonders erfreulichen und wenig wirksamen – Ausgang einer weiteren Weltklimakonferenz: Die hartnäckige und verbreitete Illusion, das Wirtschaftswachstum von ökologischer Zerstörung und dem Ausstoß von Klimagasen schnell entkoppeln zu können. Das lächerlich knappe Budget für die Anpassung zu viel zu teuren Konditionen. Der Mythos, nur der Kapitalismus könne es mit ein paar neuen Regeln richten. Die schroffe Ignoranz gegenüber dem Phänomen der Klimaflucht. Mit einer Finanzspritze aus dem zwar versprochenen aber noch nicht operierenden Fonds für Verluste und Schäden können steigende Katastrophen nicht aufgewogen werden. Aus diesen Gründen haben vor allem die soziale Einbettung aller Klimaschutzvorhaben und die Wahrung der Menschenrechte aus der Perspektive der Klimagerechtigkeitsbewegung oberste Priorität.
Schäden kompensieren?
Nahezu alle Klimakonferenzen seit Paris sind von ethischen Fragen der Schuldzuweisung und der daraus resultierenden Verantwortung überlagert, ohne dass ethische Prinzipien während der Verhandlungen klar formuliert oder ausgesprochen werden. Eine Schadenskompensation zu fordern ist aus der Perspektive einer Person oder eines Landes, das Opfer des Klimadramas wird, ohne selbst maßgeblich emittiert zu haben, verständlich. Aufgrund der ungleich verteilten Emissionen im aktuellen wie im historischen Verlauf ist die unbeliebte Frage relevant, wer schuld ist und Verantwortung trägt. Und zwar deshalb, weil mit der Klimakrise fatale Wirkungen einhergehen: Menschen sterben an den Folgen, Kommunen erleiden schon heute Verluste in einem Ausmaß, das die Debatte um ein Recht auf Nichtschädigung aufgebracht hat.
Das Pariser Klimaabkommen verbietet nicht, zu handeln
Das Recht, nicht geschädigt zu werden, kommt einem Menschenrecht gleich, denn es beinhaltet die Mitwirkungspflichten aller zum Schutze dieses Rechtes. Genau das ist auf der Klimakonferenz in Paris 2015 damals zugrunde gelegt worden (Artikel 2.2).* Vereinbart wurde, dass jedes Land nach Maßgabe einer gemeinsamen Verantwortung seinen Beitrag zu einer an Gerechtigkeitsmaßstäben orientierten Weltordnung leistet. Menschenrechte sind in der Präambel des Pariser Abkommens fest verankert. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Nicht-Handeln nach dem aktuellen Wissensstand in der Klimaforschung tatsächlich eine grobe Verletzung rechtlicher Verpflichtungen darstellt.
Statt klar auszusprechen, mit welcher ethischen Haltung verhandelt wird, präsentieren sich die Industriestaaten als wohlwollende Geber für die besonders verwundbaren Staaten, die historisch kaum zur Klimaerwärmung beigesteuert haben, auf Unterstützung aber angewiesen sind, um die eigene Bevölkerung zu schützen. Sie lassen sich aber nicht in die Rolle bittstellender hilfloser Opfer drängen, sondern vertreten Menschen, die das Recht auf Rechte haben.
Alles umsonst?
Das Pariser Klimaabkommen verbietet nicht, zu handeln. Selbst in Ländern, in denen reaktionäre Regierungen über Jahre den Klimaschutz mit Füßen getreten haben, sei es in Bolsonaro-Brasilien oder den USA unter Trump, entwickeln Kollektive, Einzelpersonen, Kommunen und Bezirksregierungen kluge und wirksame Initiativen für Klimaschutz und gegen Klimakrisen. Weltweit ist der Katalog praktischer Lösungsansätze enorm gewachsen. Dies haben insbesondere ökologisch und sozial ausgerichtete Programme im Sektor Landwirtschaft oder Recycling und Upcycling vorexerziert. Und das, obwohl gerade die Landwirtschaft im Pariser Klimaabkommen bisher nur stiefmütterlich behandelt wird. Von Urban Gardening über weltweite Klimapartnerschaften im großen und kleinen Stil, zwischen Gemeinden, Regierungen und Unternehmensverbänden. Auf welchen Klimagipfel also noch warten?